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Aktueller Buchtipp

Vom Verschwinden der Arten

Katrin Böhning-Gaese, Friederike Bauer: Vom Verschwinden der Arten – Der Kampf um die Zukunft der Menschheit. Klett-Cotta Verlag, 2023. ISBN 978-3-608-98669-3

„Der Klimawandel bestimmt, wir wir als Menschheit in Zukunft leben, das Artensterben, ob wir auf der Erde überleben.“

Viele Menschen sehen den Verlust der Biodiversität, von Arten und natürlichen Lebensräumen, zwar als bedauerlich, aber nicht wirklich als tragisch an. Wer vermisst sie schon im täglichen Leben? Dass biologische Vielfalt und natürliche Landschaften aber essentielle Ökosystemleistungen auch für uns Menschen bringen, wird oft ausgeblendet. Die Lebensmittel, die wir anbauen, das Wasser, das wir trinken und die Luft, die wir atmen, sind von natürlichen  Kreisläufen abhängig, in die der Mensch seit einiger Zeit massiv eingreift. Natürliche Lebensräume werden zerstört, Böden durch die Landwirtschaft ausgelaugt, das Grundwasser wird immer weniger und ist zudem verschmutzt. Wie wir uns auf diese Weise selbst die Lebensgrundlage entziehen und welche Möglichkeiten es gibt dagegen zu steuern, legen Katrin Böhning-Gaese und Friederike Bauer in ihrem Buch „Vom Verschwinden der Arten – Der Kampf um die Zukunft der Menschheit“ dar. Die Biologin Katrin Böning-Gaese ist Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung. In den 90er Jahren erforschte sie unter anderem die Samenausbreitung durch Vögel auf der DPZ-Forschungsstation Kirindy in Madagaskar. Zusammen mit der Journalistin Friederike Bauer hat sie nun dieses wirklich lesenswerte Buch geschrieben, das klar und verständlich Ursachen und Folgen des Biodiversitätsverlustes sowie notwendige Gegenmaßnahmen aufzeigt. Obwohl es sich um ein komplexes Thema handelt, schaffen die beiden Autorinnen es, auf 200 Seiten umfassend zu informieren und trotz der wenig positiven Aussichten eine optimistische Grundhaltung zu bewahren.

Weitere Buch- und DVD-Tipps:

An Encounter with the White-Headed Langur

Huang Songhe: An Encounter with the White-Headed Langurs. Royal Collins, 2022. ISBN 978-1-4878-0895-2

Der Weißkopflangur (Trachypithecus leucocephalus) ist einer der seltensten Primaten der Welt. Er kommt ausschließlich in einem kleinen Gebiet in Südchina vor, einer Karstlandschaft mit beeindruckend schroffen Felswänden, in denen sich die Languren akrobatisch fortbewegen. Huang Songhe, ein preisgekrönter chinesischer Naturfotograf, begleitete eine Gruppe Weißkopflanguren über drei Jahre hinweg. Dabei entstanden beeindruckende Aufnahmen der außergewöhnlich schönen Tiere in ihrem spektakulären Lebensraum. Der Text ist recht kurz gehalten und hätte vielleicht hier und da ein Lektorat vertragen können, aber letztendlich handelt es sich bei dem Werk um einen Bildband. So sollte man sich in erster Linie an den wirklich herausragend guten Aufnahmen erfreuen. Ich habe das Buch von der ersten bis zur letzten Seite genossen. Und es gibt bestimmt nur wenige Betrachter*innen, die bei den unfassbar niedlichen, quietschorangen Babys nicht hin und weg sind. Wie traurig, dass auch diese schönen Tiere vermutlich keine Zukunft mehr haben. Der Bestand der Weißkopflanguren ist innerhalb der letzten 36 Jahre um mehr als 80% zurückgegangen und besteht heute aus weniger als 250 erwachsenen Individuen. Trotz Bemühungen zum Schutz der Art, schrumpft ihr Lebensraum weiter zusammen und die Tiere werden illegal bejagd. So hat Huang Songhe mit seinem Bildband die Weißkopflanguren nicht nur einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht, sondern ihnen auch ein fotografisches Denkmal gesetzt.

amazonas

Martin Specht: Amazonas – Gefahr für die grüne Lunge der Welt. Ch. Links Verlag, 2020. ISBN 978-3-96289-079-7

Im April 2022 ging der Protest tausender Indigener in der brasilianischen Hauptstadt gegen die Zerstörung ihrer Heimat auch bei uns durch die Medien. Natürlich wissen wir um die Bedeutung des Amazonasregenwaldes für das Weltklima und den Erhalt biologischer Diversität. Dabei stellen wir uns die Region in der Regel als wilde, unberührte Natur vor. Tatsächlich lebten dort schon seit tausenden von Jahren Menschen, nach Schätzungen sogar bis zu 30 Millionen, bevor die Europäer kamen und ihre Krankheiten und Politik der Versklavung die Bevölkerung auf zwei bis drei Millionen reduzierten. Dabei stellt das tradierte Wissen der Indigenen eine wichtige Informationsquelle dar zum Verständnis der Funktionsweise des Regenwaldes.

Der Journalist Martin Specht reist seit vielen Jahren immer wieder durch die Amazonasregion und besucht auf seinen Reisen verschiedenste indigene Gruppen. In seinem Buch „Amazonas – Gefahr für die grüne Lunge der Welt“ erzählt er anschaulich von seinen Begegnungen und Erlebnissen. Daneben gibt es interessante Informationen zu Ökologie und Funktionsweise des Regenwaldes, dessen Bedeutung als CO2 Speicher sowie zur Fragilität des Ökosystems.Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Anrainerstaaten des Amazonasgebietes werden ebenso erörtert, wie die wirtschaftlichen Interessen, die dem Schutz des Regenwaldes entgegenstehen. Er zeigt damit auf, dass die Bedrohung der Natur in der Region komplexer ist, als sich in politischen Statements und Entscheidungen der obersten Regierungen widerspiegelt. Ein wirklicher Schutz der Natur muss global unterstützt werden, kann aber nur mit Kooperation auf lokaler Ebene, die Indigene, Goldgräber und Drogenhändler mit einbezieht, erfolgreich sein.

Das Buch bietet eine Fülle an Informationen komprimiert auf leicht verdauliche Weise an. Es ist Reisebericht, Geschichtsstunde, Biologie- und Politikunterricht in einem. Und es stellt immer wieder die Bedeutung der bedrohten indigenen Bevölkerung als Wissensreservoir und Unterstützung beim Schutz des Amazonasregenwalds heraus.

Das Geheimnis der Tränentrinker

Roland Hilgartner: Das Geheimnis der Tränentrinker – 5 Jahre auf Expedition durch die Dschungel unserer Erde. National Geographic Buchverlag, 2022. ISBN 978-3-86690-819-2

Wer eine Reise macht, hat etwas zu erzählen. Wer viele Reisen macht, hat viel zu erzählen. Und wer in wilde Gegenden reist und dabei auch noch besonders gut fotografieren kann, der kann auch ein Buch schreiben, wie unser ehemaliger DPZ-Kollege Roland Hilgartner. Vor 20 Jahren hat Roland am DPZ seine Promotion abgeschlossen, für die er zwei Jahre im Kirindy auf Madagaskar verbracht hat. Von dieser Zeit und weiteren Expeditionen nach Amazonien, in den Kongo und nach Südostasien berichtet er in seinem Buch „Das Geheimnis der Tränentrinker“, das zudem auch gefüllt ist mit spektakulären Fotos von seinen Reisen. Roland erzählt kurzweilig von Begegnungen mit Tieren und Menschen und von Allerlei, was so schiefgehen kann im Dschungel. Dabei wird auch das Geheimnis des Tränentrinkers erklärt. Es handelt sich um einen madagassischen Nachtfalter, der sich darauf spezialisiert hat, die Tränenflüssigkeit von Vögeln zu trinken. Das Buch schafft es, eine gute Balance zu halten zwischen wissenschaftlichen Informationen und unterhaltsamen Geschichten und ist daher als nette Lektüre für kalte Winterabende unbedingt zu empfehlen.

Pandemien

Philipp Kohlhöfer: Pandemien – Wie Viren die Welt verändern. S. Fischer Verlag, 2021. ISBN 978-3-10-397089-0

Es soll ja immer noch Leute geben, die noch kein Buch über Pandemien gelesen haben. In diesem Fall kann ich „Pandemien – Wie Viren die Welt verändern“ von Philipp Kohlhöfer nur wärmsten empfehlen. Hier wird niemand mit drögem Lehrbuchwissen und trockenen Fakten gequält. Der Verlag bezeichnet das Buch als einen Wissenschaftspunk-Thriller. Und tatsächlich schafft es der Autor auf unterhaltsame, regelrecht spannende Weise, uns in die Welt der Viren und Seuchen zu entführen. Dass dabei auch fundierte hochaktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden, haben wir zwei Umständen zu verdanken. Zum einen ist der Philipp Kohlhöfer ein engagierter Autor, der unter anderem für das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten arbeitet. Zum anderen ist er ein alter Freund von Christian Drosten. Dieser ist einer der tragenden Protagonisten des Buches und als Hörerin des „Corona-Update“ Podcasts bin ich mir sicher, dass Drosten pingelig alle wissenschaftlichen Ungenauigkeiten aus dem Manuskript eliminiert hat. Kohlhöfer schlägt in seinem Buch einen weiten Bogen, spricht mit Forschenden, medizinischem Personal, einer Fledermausexpertin und berichtet über Impfgegner und Krankheitsleugner, die gesellschaftlichen Folgen von Krankheiten und Epidemien. Der rasante Wechsel zwischen Schauplätzen und Protagonisten erzeugt die Thrillerartigkeit dieses Sachbuchs, dessen Quintessenz lautet: Ein Erreger trifft immer auf eine Gesellschaft, die sich darüber dann selbst sehr erregt. Dabei ist die einzige Waffe, die wir im Kampf gegen neuartige Erreger haben, die Wissenschaft.

Ein Leben auf unserem Planeten

David Attenborough: Ein Leben auf unserem Planeten – Die Zukunftsvision des berühmtesten Naturfilmers der Welt. Blessing Verlag, 2020. ISBN 978-3-89667-691-7
David Attenborough: A Life on Our Planet – My Witness Statement and a Vision for the Future. Witness Books, 2020. ISBN 978-1-529-10828-6

Der Verlust von Wildnis ist ein Thema, das neben dem Klimawandel gelegentlich etwas vernachlässigt wird. Dabei ist der damit einhergehende Verlust von Biodiversität eng mit dem Klimawandel verwoben und hat einen wesentlichen Anteil an der großen ökologischen Krise unseres Planeten.
In der kurzen Zeitspanne eines einzigen Menschenlebens haben einschneidende ökologische Veränderungen stattgefunden und wer könnte uns diese besser erzählen als der berühmte britische Naturfilmer David Attenborough, der dieses Jahr seinen 95. Geburtstag feierte. In seinem Buch „Ein Leben auf unserem Planeten“ liefert er uns einen Zeitzeugenbericht über 80 Jahre, in denen er einen Rückgang der unberührten Wildnis unserer Erde von 66% auf 35% erleben musste. Als Leser*in kann man seine Entwicklung vom hoffnungsvollen Naturfilmer zum Mahner für den Naturschutz gut nachvollziehen. Was passiert, wenn die Menschheit keine ausreichenden Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe ergreift, behandelt der zweite Teil des Buches, in dem Attenbourough ein düsteres Bild der Zukunft zeigt. Potentielle Leser*innen sollten gewarnt sein. Dieser Abschnitt ist nur schwer zu ertragen.
Im dritten Teil entwirft Attenborough dagegen ein überaus positives Zukunftsscenario, in dem wir zu einer nachhaltigen Lebensweise finden und so die drohende Katastrophe noch verhindern können. Dabei wird immer wieder betont, wie wichtig es ist, große Teile der Erde der Natur zurück zu geben, um Evolution und Biodiversität eine Chance zu geben. Eine reine Reduktion der CO2 Freisetzung und damit ein Aufhalten des Klimawandels wird die ökologische Katastrophe nicht verhindern. Dafür brauchen wir auch die biologische Vielfalt der Wildnis.
Das Buch lässt sich hervorragend gut lesen und ist ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Ich wünschte nur, ich könnte den Optimismus dieses großen alten Naturschützers teilen.

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit

Mai Thi Nguyen-Kim: Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit – Wahr, falsch, plausibel? Die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft. Droemer Verlag, 2021. ISBN 978-3-426-27822-2

Mai Thi Nguyen-Kim, promovierte Chemikerin, Youtuberin und Fernsehmoderatorin ist zurzeit das junge Gesicht der Wissenschaftskommunikation. Mit „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ hat sie nur ihr zweites Buch veröffentlicht, in dem sie anhand von acht kontrovers diskutierten Themen erörtert, wie man Fakten von Fake unterscheiden und die Aussagekraft wissenschaftlicher Studien einordnen kann. Neben Themen wie Legalisierung von Drogen, Sicherheit von Impfungen und Unterschieden zwischen Männern und Frauen, geht sie der Frage nach, ob Tierversuche ethisch vertretbar sind. Auch wenn ihre Ausdrucksweise betont locker ist, hat Nguyen-Kim eine Menge Faktenwissen zu den verschiedenen Themen zusammengetragen. Ein Beispiel hierfür ist die Auflistung der Nobelpreise für Medizin, deren Forschung Studien an Tieren beinhaltet hat. Offenbar gab es nur eine Handvoll Medizin-Nobelpreisträger*innen in den letzten 120 Jahren, die ohne Tierversuche forschten. Gerade beim Thema Tierversuche wird deutlich, wie wichtig ein kleinster gemeinsamer Nenner, die „kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ ist. Nur wenn man eine gemeinsame wissenschaftliche Basis hat, ist eine Diskussion überhaupt möglich.
Das Buch richtet sich vorrangig an wissenschaftlich interessierte Laien. Für jemanden mit sehr wenig naturwissenschaftlichem Verständnis ist es sicherlich anstrengend zu lesen, für Wissenschaftler selbst an vielen Stellen trivial. Allerdings gibt es meiner Meinung nach gute Anregungen, wie man komplexe Themen auf einfache und klare Weise kommunizieren kann. Vorausgesetzt, dass alle bereit sind, sich zumindest auf ein Minimum wissenschaftlichen Denkens einzulassen, bietet das Buch Anregung für fruchtbare Diskussionen. Ein Buch, dass in Zeiten von „Querdenkern“ und „Klimaleugnern“ bitter nötig zu sein scheint.

Tierethik

Julia Kockel & Oliver Hahn: Tierethik – Der Comic zur Debatte. Wilhelm Fink Verlag, 2017. ISBN 978-3-7705-6289-3

Kaum ein heutiger Mensch würde wohl behaupten, dass er Tiere quälen toll findet. Gleichzeitig leben wir in einem Zeitalter, in dem durch die industrielle Massenproduktion „Nutztiere“ in einem Ausmaß gequält werden, wie es in der Geschichte der Menschheit noch nie vorkam. Wie gehen wir mit dieser moralischen Schizophrenie um? Oder ist das Nachdenken über die Rechte von Tieren nur ein First-World-Problem, angesichts von Kriegen, Hunger und Krankheiten auf der ganzen Welt?
Auf 140 Seiten führt uns „Tierethik – der Comic zur Debatte“ durch 2500 Jahre Philosophiegeschichte, bei der auch immer wieder unser Verhältnis zu Tieren diskutiert wurde. Beginnend mit den antiken Philosophen Aristoteles und Pythagoras über Descartes, Locke und Kant, nahm die Diskussion in den letzten 200 Jahren an Fahrt auf und gipfelte in Bewegungen, wie der Animal Liberation Front oder Peta. Es wird deutlich, dass die jeweilige Ansicht auch immer ein Produkt ihrer Zeit war und oft eng verknüpft ist mit anderen moralischen Fragen, wie Rassismus, Frauenrechten, aber auch den Rechten von Kindern und geistig behinderten Menschen.
Die Autorin Julia Kockel schafft es, die komplexen Theorien kurz und prägnant zusammenzufassen, ohne sie zu sehr zu vereinfachen und weist dabei auch auf den einen oder anderen Widerspruch hin. Die Zeichnungen des Grafikers Oliver Hahn sorgen für eine Auflockerung des schweren Stoffes. Aber trotz aller Lockerheit und der unkonventionellen Darstellung des Themas ist das Buch nicht eben mal schnell durchgelesen, wenn man intensiv über das Gelesene nachdenkt.Das Buch bietet jedoch für jeden die Möglichkeit, sich niederschwellig über den Stand der Tierrechte-Debatte zu informieren und über den eigenen Standpunkt nachzudenken. Es ist daher jedem Fleischesser, Vegetarier, Tierhalter, Tierversuchsgegner, Artenschützer etc. zu empfehlen!

Spillover

David Quammen: Spillover – Der tierische Ursprung weltweiter Seuchen. Deutsche Verlags-Anstalt, 2013. ISBN 978-3-421-04365-8

Nipah, Hendra, Marburgvirus, West-Nil-Virus, Ebola, Lassa, HIV, SARS-CoV – dies alles sind Viren, die vor nicht allzu langer Zeit von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen sind und dort oft verheerende Krankheitsbilder hervorrufen. Die Jagd nach den Ursprüngen dieser Zoonosen und die Forschung zum Verständnis der Epidemieverläufe beschreibt David Quammen in seinem Buch „Spillover“, das bereits 2012 erschienen ist. Quammen, bekannter Buchautor und Wissenschaftsjournalist, begleitete Feldforscher auf der Suche nach der natürlich Reservoirwirtsspezies der Erreger, besuchte Virologen in ihren Laboren und ließ sich von Epidemiologen in die Geheimnisse der Modellierung von Epidemien einweihen. Wer schon immer wissen wollte, wie ein R0 –Wert bestimmt wird oder was das SIR Modell vorhersagt, was eine Vektor- und was eine Verstärkerspezies ist, und warum so oft Fledertiere als Reservoir der Viren dienen, sollte das Buch von Quammen lesen. Der Autor schafft es, auf spannende und unterhaltsame Weise komplexe Vorgänge verständlich zu beschreiben. Besonders das Kapitel zur SARS Epidemie von 2003 trägt viel zum Verständnis der heutigen Covid-19 Pandemie bei. Und es wird deutlich, welche Rolle der Naturschutz bei der Verhinderung von zoonotischen Seuchen spielt: durch Zerstörung der Ökosysteme wird das im Laufe der Evolution entstandene Arrangement der Wirtsspezies und der Erreger beeinträchtigt. Damit wächst das Risiko, dass Viren auf eine andere Art überspringen. Und wie sagt es einer der Forscher im Buch? „Diese neue Wirtsspezies ist häufig der Mensch, einfach weil er so aufdringlich und in so großer Zahl vorhanden ist.“

Emotionen im Feld

Katja Liebal, Oliver Lubrich, Thomas Stodulka (Hg.): Emotionen im Feld – Gespräche zur Ethnografie, Primatografie und Reiseliteratur. Transcript Verlag, 2019. ISBN 978-3-8376-4548-4

Was haben fünf Primatologen, vier Ethnologen, zwei Schriftsteller und ein Dokumentarfilmer gemeinsam? Ihre Leben wurden geprägt durch die Arbeit in entlegenen Regionen dieser Welt. Wie Emotionen wiederum die Arbeit von Forschern beeinflussen war Thema des interdisziplinären Forschungsprojektes „Die Affekte der Forscher“ an der Freien Universität Berlin, das von Katja Liebal, Oliver Lubrich und Thomas Stodulka geleitet wurde. Inspiriert durch das gemeinsame Projekt kam die Idee auf, verschiedene Feldforscher zu ihren Gefühlen rund um den Feldaufenthalt zu befragen. Es fanden sich vier Frauen und acht Männer, alle mit langjähriger Felderfahrung, bereit, die teilweise sehr persönlichen Fragen zu beantworten. Diese Interviews sind nun im Buch „Emotionen im Feld: Gespräche zur Ethnografie, Primatografie und Reiseliteratur“ nachzulesen. Auch zwei DPZ Wissenschaftler waren unter den Interviewten: neben Julia Fischer, die mit Katja Niebal das Buch auf dem Göttinger Literaturherbst vorstellte, gewährte auch Peter Kappeler Einblicke in seine Gefühlswelt. Das Buch lässt sich flüssig lesen und kann durch die Interviewform auch gut in Häppchen genossen werden. Viele der beschriebenen Emotionen konnte ich gut nachvollziehen, da ich sie selbst so oder so ähnlich empfunden habe. Allerdings weiß ich nicht, wie das Buch auf jemanden ohne Felderfahrung wirkt, denn auch die Interviewer selbst sind Feldforscher. Für mich waren natürlich die Gespräche mit den Primatenforschern besonders interessant. Bei ihnen zeigte sich allerdings, dass viele Emotionen eher durch den Feldaufenthalt an sich, als durch die spezielle Forschungsarbeit hervorgerufen werden. Auch wenn vermutlich jeder Forscher eine gewisse emotionale Bindung an sein Forschungsobjekt entwickelt. Für die Ethnologen, Journalisten und Dokumentarfilmer, die überwiegend mit Menschen interagieren, stellt sich dieser Aspekt natürlich noch einmal anders dar. Insgesamt hat es mir sehr viel Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen. Bei allen Gemeinsamkeiten haben mich insbesondere die unterschiedlichen Charaktere der Interviewten fasziniert. Die Herausgeber haben wirklich eine erstaunliche Anzahl interessanter und unterschiedlicher Persönlichkeiten für ihre Gespräche gefunden. Klare Leseempfehlung!

Sex, Lies, & Brain Scans

Barbara J. Sahakian & Julia Gottwald: Sex, Lies, & Brain Scans: How fMRI Reveals What Really Goes On In Our Minds. Oxford University Press, 2017. ISBN 978-0-19-875288-2

„MRT enttarnt Lügner“ klingt natürlich viel besser als „Funktionelle Magnetresonanztomographie identifiziert Hirnregionen, die bei vielen Menschen während des Lügens stärker durchblutet werden“. Aber wie aussagekräftig sind die Befunde neurowissenschaftlicher Studien unter Anwendung von funktioneller Magnetresonanztomographie wirklich? In ihrem Buch „Sex, Lies, & Brain Scans“ nehmen sich Barbara Sahakian und Julia Gottwald, Neuropsychologinnen an der University of Cambridge, des Themas in zweierlei Hinsicht an: Zum einen zeigen sie die bisherigen Grenzen der Methode auf und mahnen zur Vorsicht bei der Interpretation der Daten. Zum anderen steigen sie tief in die gesellschaftspolitische Diskussion der Möglichkeiten zur Anwendung von fMRT ein. Sollen und dürfen „Beweise“, die durch Hirnscans erlangt wurden, in Strafgerichtsverfahren berücksichtigt werden? Wie steht es mit der Schuldfähigkeit von Angeklagten, deren Gehirn anders funktioniert als beim Durchschnittsmenschen? Sahakian und Gottwald schaffen es sehr eindrücklich, die potentiellen Gefahren einer Überbewertung wissenschaftlicher Ergebnisse darzustellen. Gleichzeitig plädieren sie für eine rechtzeitige ethische Diskussion über die Anwendung neurowissenschaftlicher Methoden, bevor die ersten Konflikte auftreten. Das Buch ist erfreulich kurz und knapp geschrieben und bietet so dem Leser die Möglichkeit, sich ohne viel Zeitaufwand unterhaltsam zu informieren. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich natürlich hauptsächlich durch den Titel „Sex, Lies, & Brain Scans“ auf das Buch aufmerksam wurde, bin ich froh es gelesen zu haben. Wer weiß, welche Region meines Gehirns da aktiviert wurde!

Mama's Last Hug

Frans de Waal: Mama's Last Hug – Animal Emotions and What They Tell Us about Ourselves. Granta Publications, 2019. ISBN 978-1-78378-410-3

Bereits der Titel klingt sehr emotional: Mamas letzte Umarmung. Wer denkt da nicht an die eigene Mama oder als Mutter an die eigenen Kinder? So rührselig, wie der Titel vermuten lässt, ist das Buch dann aber doch nicht. Bei der titelgebenden Mama handelt es sich um eine alte Schimpansenmatriarchin im Arnheimer Zoo, die sich über den Besuch ihres langjährigen „Freundes“, des Verhaltensbiologen Jan van Hooff freut und ihn umarmt. Dem 80jährigen emeritierten Professor ist klar, dass es sich um einen Abschiedsbesuch handelt, denn Mama liegt im Sterben. Weiß sie das auch? Die ergreifende Szene ist auf Youtube zu sehen und hat mittlerweile mehr als 10 Millionen Klicks.
Emotionen, das ist das Thema des neuen Buches von Verhaltensforscher und Bestsellerautor Frans de Waal. Detailliert analysiert de Waal die wichtigsten Emotionen, die ursprünglich für menschliches Verhalten definiert, auch bei anderen Tierarten, insbesondere natürlich Primaten, zu beobachten sind. De Waal geht dabei auf Konfrontationskurs mit der klassischen Verhaltensforschung, die Verhaltensweisen nur beschreibt und nicht nach zugrunde liegenden Motivationen oder Emotionen interpretiert. Auch die heutigen Verhaltensforscher arbeiten zum großen Teil noch nach diesem Prinzip. Frans de Waal ist allerdings der Ansicht, da Emotionen wie Angst, Wut etc. auf einen gemeinsamen evolutionären Ursprung zurück zu führen sind, sollten sie auch bei nichtmenschlichen Tieren als solche bezeichnet werden. Sein Buch nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Welt der Emotionen und liefert eine Fülle an Beispielen aus dem Tierreich, von lachenden Ratten bis zu pessimistischen Schweinen. Einen großen Raum nimmt dabei die Primatenforschung, insbesondere seine eigenen langjährigen Forschungen an Schimpansen ein.
Frans de Waal sieht in der Erforschung von Emotionen das Zukunftsthema der Verhaltensforschung, denn Emotionen sind laut ihm das, was uns – Tiere und Menschen – im Leben antreibt. Ein interessantes, spannendes und berührendes Buch!

Der Mensch im Tier

Norbert Sachser: Der Mensch im Tier – Warum Tiere uns im Denken, Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind. Rowohlt, 2018. ISBN 978-3-498-06090-9

 „Wir Menschen sind den Tieren näher gerückt; es steckt sehr viel mehr Mensch im Tier, als wir uns vor wenigen Jahren noch haben vorstellen können.“ Das ist die Kernaussage des Buches „Der Mensch im Tier“ von Norbert Sachser und das Resümee seiner lebenslangen Forschung zum Verhalten von Tieren, insbesondere Säugetieren. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Verhaltensforschung der letzten 100 Jahre und erklärt eindrucksvoll, wie die Forschung unser Verständnis von Tieren und damit auch unsere Einstellung zu ihnen verändert hat. Wurden Tiere noch vor hundert Jahren als seelenlose Wesen betrachtet, deren Verhalten genetisch programmiert reflexartig abläuft, weiß man heute, dass Tiere Emotionen haben, dass sie denken können und Persönlichkeit entwickeln. Die Forschung an Tieren hat viel zum Verständnis menschlichen Verhaltens beigetragen, gleichzeitig hat sie aber auch gezeigt, dass viele typisch „menschliche“ Eigenschaften ebenso bei anderen Tierarten zu beobachten sind. Sachser veranschaulicht dies durch wohldosierte Beispiele aus Stressforschung, Kognitionsforschung und Studien zu genetischen Grundlagen des Verhaltens. Die Sprache ist dabei einfach und klar, auch für Laien verständlich und nachvollziehbar. Bei aller Sachlichkeit der Darstellung wird jedoch ebenso klar, dass mit der wachsenden Erkenntnis über die Fähigkeiten und Bedürfnisse von Tieren, diesen in der Tierhaltung Rechnung getragen werden muss. Sachsers Fazit lautet daher: „Ein tiergerechtes Leben in menschlicher Obhut bedeutet mehr als gesund und fortpflanzungsfähig zu sein.“ Ein Buch, das jeder Tierhalter gelesen haben sollte!

Affen wie wir

Alexandra Tischel: Affen wie wir – Was die Literatur über uns und unsere nächsten Verwandten erzählt. J.B. Metzler Verlag, 2018. ISBN 978-3-476-04598-0

Die Grenze zwischen Mensch und Tier, zwischen uns und den anderen Affen, ist ein Thema, das nicht nur Naturwissenschaftler seit langer Zeit beschäftigt. Auch Verfasser von fiktionaler Literatur haben sich bereits früh dem Verhältnis zu unseren nächsten Verwandten gewidmet. Die Literaturwissenschaftlerin Alexandra Tischel analysiert in ihrem Buch „Affen wie wir“ klassische und moderne literarische Werke der letzten zwei Jahrhunderte, die sich mit der Beziehung Mensch-Affe auseinandersetzen. In zwölf Kapiteln wird jeweils ein Werk behandelt, von „Die Morde in der Rue Morgue“, einer Kriminalgeschichte von Edgar Allan Poe bis hin zu Will Self „Die schöne Welt der Affen“, einer fiktiven Geschichte im Stil der „Planet der Affen“-Filme. Der Reiz des Literarischen liegt darin, dass sich Schriftsteller nicht an die Grenzen der Naturwissenschaften halten müssen. Die dargestellten „Affen“ zeigen oft Eigenschaften und Fähigkeiten, die wir in der Natur nicht vorfinden. Aber gerade dieses Spiel mit den Möglichkeiten, regt zum Nachdenken über die Grenzen unserer eigenen Art an. Alexandra Tischel hat sich für ihre Arbeit ein fundiertes Wissen über Verhalten und Fähigkeiten nichtmenschlicher Primaten angeeignet und so ist ihre Analyse auch für Naturwissenschaftler akzeptabel und nachvollziehbar. Auch wenn nicht jedes Kapitel spannend ist, finde ich die eine oder andere Sichtweise ganz interessant. Eventuell wage ich mich mit dieser etwas anderen Perspektive doch noch einmal an Bücher, die ich vor 20 Jahren als „schrecklich“ abgeurteilt habe. Selbst nüchtern naturwissenschaftlich denkende Menschen sollten vielleicht manchmal über den Tellerrand schauen. Insbesondere, wenn sie am DPZ arbeiten und häufig gefragt werden, wie realistisch die eine oder andere Darstellung von Affen in Literatur und Film ist.

The Spaces Between Us

Michael S. A. Graziano: The Spaces Between Us – A Story of Neuroscience, Evolution, and Human Nature. Oxford University Press, 2018. ISBN 978-0-19-046101-0

Wir tragen ihn ständig mit uns herum, sind uns dessen aber nur selten bewusst: unser persönlicher Raum, in Englisch „Personal Space“. Häufig wird er als Fluchtdistanz bezeichnet, denn wir bemerken ihn am ehesten, wenn uns jemand zu nahe kommt. Wie groß die Fluchtdistanz ist, wird neben der Art der Beziehung zum Gegenüber auch von unserer kulturellen Herkunft sowie unserer aktuellen emotionalen Verfassung bestimmt. Je ausgeglichener und selbstbewusster wir sind, desto kleiner unsere Fluchtdistanz.
Michael Graziano, Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der Princeton University in New Jersey, beschäftigt sich mit den neuronalen Grundlagen von Bewusstsein. Seine Versuche an nichtmenschlichen Primaten zeigten, dass die Hirnregion, die für den Fluchtreflex verantwortlich ist, nicht nur soziale Interaktionen steuert, sondern auch für die physische Einordnung unseres Körpers in die Umwelt verantwortlich ist. Ohne diese würden wir ständig mit unserer Umgebung kollidieren und hätten Probleme, unsere Bewegungen zu koordinieren. Daher der Begriff „Personal Space“, der sich bei Bedarf auch auf Gegenstände erweitern lässt. Beim Essen erstreckt er sich auf das Besteck, beim Autofahren umfasst er das ganze Fahrzeug.
Graziano ist ein begabter Schriftsteller, er hat auch schon Romane und Kinderbücher veröffentlicht, und so schafft er es, den Leser leichtverständlich und informativ zu unterhalten. Sehr emotional ist das letzte Kapitel, in dem Graziano von seinem Sohn und dessen Schwierigkeiten, einen persönlichen Raum zu herzustellen, berichtet. Die fundamentale Bedeutung des persönlichen Raums wird uns auf diese Weise plastisch vor Augen geführt.

Glücksfall Mensch

Jonathan Losos: Glücksfall Mensch – Ist Evolution vorhersagbar? Hanser Verlag, 2018. ISBN 978-3-446-25842-6

Jonathan Losos: Improbable Destinies – How Predictable is Evolution? Allan Lane, 2017. ISBN 978-0-241-20192-3

Evolution? Kennt man doch! Zufällige Mutationen – natürliche Selektion – Survival of the Fittest – bestmögliche Anpassung an Lebensraum und Lebensweise. Blickt man jedoch genauer hin, ist es auf einmal nicht mehr so einfach. Die Diskussion, ob Evolution vorhersagbar oder das Produkt reinen Zufalls ist, erregt seit vielen Jahren die Gemüter. Für beide Standpunkte gibt es gute Argumente. Während früher in der Regel anhand von lebenden Arten und Fossilien argumentiert wurde, gibt es seit einiger Zeit die Forschungsrichtung „Experimentelle Evolution“, die durch experimentelle Manipulationen bei relativ kurzlebigen Organismen evolutive Veränderungen provoziert. Jonathan Losos, Professor für evolutionäre Biologie in Harvard, ist ein Vertreter dieser jungen Fachrichtung. Seine eigene Forschung führte ihn in die Karibik, wo er Anolis-Echsen untersuchte. Dieses und viele andere Experimente zur Evolution beschreibt er in seinem Buch. Er bringt Beispiele für Arten, die aufgrund gleicher evolutionärer Drücke ähnliche Merkmale entwickelt haben, aber auch für „evolutionäre Unikate“. Zu diesen zählt er auch den Menschen, dem er, entgegen den Erwartungen, die der deutsche Titel wecken mag, nur einen relativ kurzen Abschnitt widmet. Sein Fazit: Evolution ist weder komplett vorhersagbar noch völlig zufällig. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Insgesamt ist es ein interessantes, auch für den wissenschaftlich interessierten Laien verständliches, gut lesbares Buch, das deutlich macht, wie komplex der Prozess der Evolution ist und wie wenig wir eigentlich darüber wissen.

Gewalt und Mitgefühl

Robert Sapolsky: Gewalt und Mitgefühl – Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Hanser Verlag, 2017. ISBN 978-3-446-25672-9

Robert Sapolsky: Behave – The Biology of Humans At Our Best And Worst. Bodley Head, 2017. ISBN 978-1-847-92216-8

Fast 20 Jahre nach dem Erscheinen seiner Memoiren „Mein Leben als Pavian“ ist Robert Sapolsky nun doch wieder bei seiner Herkunftsspezies angekommen. In seinem neuesten Buch „Gewalt und Mitgefühl“ will er uns die Biologie des menschlichen Verhaltens näher bringen. Der Primatologe und Neurowissenschaftler Sapolsky betrachtet dabei den Menschen nicht nur eindimensional aus Sicht seiner eigenen wissenschaftlichen Disziplin, sondern beleuchtet unser Verhalten vom neurobiologischen, endokrinologischen, genetischen, evolutionären aber auch psychologischen Standpunkt. Schwerpunkt liegt dabei auf dem aggressiven Verhalten. Für eine einigermaßen sorgfältige Betrachtung all dieser Aspekte braucht es natürlich viele Worte, und so mag dieses fast 1000 Seiten starke Werk manchen schon vom Umfang her abschrecken. Wenn man aber grundsätzlich an der Thematik interessiert ist, lässt sich das Buch wirklich locker lesen. Und wer Sapolsky kennt, weiß, dass er äußerst unterhaltsam schreibt.  Dennoch bleibt es ein schwieriges Thema zu dem es keine leichten Antworten gibt. Das menschliche Verhalten ist flexibel und wird von vielen Variablen beeinflusst. „Kontext, Kontext, Kontext“ schreibt Sapolsky immer wieder und fasst schließlich sein Buches in einem Satz zusammen: „Es ist kompliziert.“ Trotzdem ist es für den Leser sehr spannend, sich mit seinen stärksten Emotionen, Liebe und Hass, gedanklich auseinanderzusetzen. Denn auch das ist eine der Erkenntnisse Sapolskys: „Denken und Fühlen befinden sich in ständiger Interaktion. Interessant ist die Frage, welches davon wann dominiert.“

Der Fisch in uns

Der Fisch in uns – Die Entwicklungsgeschichte des Menschen. Lighthouse, 2015. Dreiteilige Dokumentation, Laufzeit: 135 min., Sprache: Deutsch. EAN 425-012841499-9.

Dokumentationen zur Evolution des Menschen beginnen meist mit unserer Urahnin Lucy, jener berühmten Australopithecus afarensis Frau, die vor 3,2 Millionen Jahren lebte und 1974 wieder entdeckt wurde. Gelegentlich wird auch noch ein Blick auf 80 Millionen Jahre Evolution der Primaten geworfen, um dieses oder jenes Merkmal des Menschen zu erklären. Neil Shubin, Paläontologe und Leiter des Instituts für organische Biologie und Anatomie der Universität Chicago, startet seine Reise durch die Entwicklungsgeschichte des Menschen jedoch vor 375 Millionen Jahren, als ein prähistorischer Fisch als erster jene Gliedmaßen entwickelte, die später zu unseren Armen und Beinen wurden. Shubin arbeitet sich durch die Evolution der Amphibien, Reptilien und Säugetiere bis hin zu den Primaten und greift von jeder Gruppe diejenigen Merkmale auf, die beim Menschen noch heute erkennbar sind. Sein Ziel ist es, zu zeigen, warum wir so sind, wie wir sind und was uns dazu machte. Wir lernen auf dieser Reise viele Fossilien ausgestorbener Arten, aber auch rezente Arten, die sehr ursprüngliche Merkmale beibehalten haben, sogenannte lebende Fossilien, kennen. Die abwechslungsreiche Präsentation mit paläontologischer Feldforschung, Interviews, erklärenden Grafiken und Animationen, stellt die oft komplexen Zusammenhänge verständlich dar und lässt die Dokumentation nie langweilig werden. Dem Film liegt das gleichnamige Buch von Neil Shubin aus dem Jahr 2009 zugrunde, so dass die Forschungsergebnisse vielleicht nicht absolut auf dem aktuellen Stand sind, und Primatologen sollten gerade beim dritten Teil mit dem Titel „Der Affe in uns“ nicht so genau hinhören, wenn ständig der Mensch mit „den Primaten“ verglichen wird - als würde er nicht dazu gehören. Alles in allem ist es aber auch für den Zuschauer mit Vorkenntnissen eine interessante Darstellung, die im Gegensatz zu vielen anderen Dokumentationen nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern punktuell auch tiefergehendes Wissen vermittelt. Wer an einem verregneten Wochenende informativ unterhalten werden möchte, wird sich mit „Der Fisch in uns“ nicht langweilen.

The Photo Ark

Joel Sartore: The Photo Ark: One Man’s Quest to Document the World’s Animals. National Geographic, 2017. ISBN 978-1-4262-1777-7

Joel Sartore: Artenreich: Eine Hommage an die Vielfalt. National Geographic Deutschland, 2017. ISBN 978-3-86690-639-6

Von der Biene bis zum Rhinozeros - ob Fisch, Spinne, Reptil oder Säugetier – Joel Sartores Ziel ist es, jede Tierart, die in Menschenhand gehalten wird, zu fotografieren. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei auf bedrohte Arten, denn sein Projekt ist nicht nur ein künstlerisches. Er möchte damit auch auf das Artensterben aufmerksam machen. „Wir und die Tiere in Joels Arche sitzen zusammen in einem Boot“, bemerkt Harrison Ford dazu in seinem Vorwort. Unterstützt von der National Geographic Society ist Sartore seit mehr als zehn Jahren in Zoos, Tierparks und bei anderen Tierhaltern unterwegs und hat bereits 6000 Tierarten abgelichtet. Die 400 schönsten Fotos wurden nun in dem Bildband „The Photo Ark“ veröffentlicht. Darunter finden sich auch viele Primaten. Das Buch kommt mit sehr wenig Text aus, der Fokus liegt auf den beeindruckenden Fotos. Abgesehen von den Namen gibt es keine Informationen zu den Tierarten. Nur gelegentlich werden kleine Infos eingestreut sowie ein paar Seiten „Hinter den Kulissen“ und kurze Portraits sogenannter „Helden“ des Artenschutzes. Aber gerade diese Zurückhaltung beim Text macht das Buch auch für weniger Artenschutzinteressierte zugänglich, da es nicht mit der moralischen Keule daher kommt. Der Bildband ist auch für sich genommen, als rein künstlerisches Werk, ein optischer Genuss. Die Tiere wurden alle vor schwarzem oder weißem Hintergrund fotografiert, so dass der Fokus auf dem Tier liegt und nicht durch eine unruhige Umgebung abgelenkt wird. Auf diese Weise sind wirklich außergewöhnlich schöne Fotos entstanden. So entdeckt man bei jedem Durchblättern des Buches neue Details. Mein derzeitiger Favorit ist übrigens das Foto der Virginia Opossums auf Seite 114.

The New Neotropical Companion

John Kricher: The New Neotropical Companion. Princeton University Press, 2017. ISBN 978-0-691-11525-2, E-Book ISBN 978-1-4008-8558-9.

Als ich vor vielen Jahren in den brasilianischen Regenwald ging, um Springaffen zu beobachten, begleitete mich ein kleines grünes Buch mit dem Titel „The Neotropical Companion“. Optisch nicht besonders ansprechend mit seinen wenigen Schwarzweiß-Zeichnungen, bot das Büchlein einen knappen, unterhaltsamen Rundumschlag zur Ökologie des tropischen Amerika, mit vielen eingestreuten nützlichen Hinweisen, z.B. wo man am ehesten auf Schlangen oder Zecken trifft. Achtundzwanzig Jahre nach der Erstauflage hat John Kricher nun eine Neuauflage mit dem Titel „The New Neotropical Companion“ veröffentlicht. Bereits das Coverfoto von einem Binden-Ameisenwürger zieht die Aufmerksamkeit auf sich und auch im Buch finden sich nun zahlreiche schöne Fotografien sowie informative Abbildungen. Das Werk ist eine Art ökologischer Reiseführer, der sich in erster Linie an den interessierten Laien wendet. Ziel des Autors ist es, dem Reisenden zu ermöglichen, mit eigenen Augen ökologische Phänomene und Zusammenhänge zu erkennen. Aber auch für den nichtreisenden ökologisch Interessierten sollte es ein spannendes Buch sein. Zunächst gibt der Autor einen Überblick über diverse ökologische Grundsätze und Theorien anhand vieler Beispiele und geht dann im zweiten Teil des Buches auf Tier- und Pflanzenfamilien sowie die unterschiedlichen Ökosysteme der amerikanischen Tropen ein. Dass der Autor sich besonders für Vögel begeistert, erkennt man sofort am Umfang des entsprechenden Kapitels und der Menge schöner Fotografien. Den Abschluss bildet, es ist nicht anders zu erwarten, der verheerende Einfluss des Menschen in den Neuwelttropen. Das Buch ist in einfacher, allgemein verständlicher Sprache geschrieben und bietet dem interessierten Laien eine Fülle an Informationen mit weiterführenden Literaturhinweisen. Der Profi wird sich vermutlich eher an das Fachbuch desselben Autors halten (Tropical Ecology, Princeton University Press, 2011). Im Gegensatz zu seinem Vorgänger bietet sich The New Neotropical Companion aufgrund seines Gewichts sicher weniger als physischer Reisebegleiter an. Aber dafür gibt es heutzutage schließlich E-Books.

All the Worlds Primates

Noel Rowe & Marc Myers (eds): All the World’s Primates. Pogonias Press, 2016. ISBN 978-1-940496-05-4.

All the World‘s Primates , so heißt der neue von Noel Rowe und Marc Myers herausgegebene ultimative Primatenführer und verspricht nicht weniger, als die wichtigsten Informationen über alle Primaten dieser Welt. Auf fast 800 Seiten stellt der schwergewichtige Band die zurzeit 505 bekannten Primatenarten vor. Die wichtigsten Informationen zu Taxonomie, Aussehen, Verhalten, Lebensraum und Ökologie sowie zum Bedrohungsstatus der einzelnen Arten werden den Lesern stichwortartig vermittelt. Abgerundet durch Verbreitungskarten und ausdrucksvolle Fotos oder Zeichnungen, kann man sich so auf jeweils ein bis zwei Seiten über die wesentlichen Merkmale der Arten informieren, selbstverständlich mit den entsprechenden Literaturverweisen für weiterführende Recherchen. Zusammengetragen wurden diese Informationen von über 300 Primatenforschern, die an der Datenbank All the World’s Primates mitarbeiten. Hier kann  man auch Videos und Tonaufnahmen  von vielen Primatenarten finden, ebenso wie Beiträge zu allgemeinen primatologischen Themen. Die kostenpflichtige Datenbank ist innerhalb des DPZ unter dieser Adresse  verfügbar und wird ständig aktualisiert. Die stetige Abnahme der Aktualität ist auch der Nachteil des gedruckten Buches, denn die Taxonomie der Primaten ist einem rasanten Wechsel unterworfen: während der Vorgänger „Pictorial Guide to the Living Primates“ 1996 nur 234 Primatenarten beschrieb, sind es heute bereits mehr als doppelt so viele und die Daten zu den einzelnen Arten werden immer umfangreicher. Trotzdem kann man gerade beim Durchblättern des Buches einen schönen Eindruck von der Vielfältigkeit der Primaten bekommen und zum schnellen Nachschlagen ist es sehr praktisch.

Die Affenbande

Owen Davey: Die Affenbande – Alles über Mandrill, Gibbon, Schimpanse und Co. Knesebeck, 2016. ISBN 978-3-86873-912-1.

Owen Davey: Mad About Monkeys. Flying Eye Books, 2015. ISBN 978-1-909263-57-4.

Wieder steht Weihnachten steht schon wieder vor der Tür und manch einer braucht noch ein Geschenk für Nichte, Neffe, Kind oder Enkelkind. Wie wäre es denn mit einem Kinderbuch über Affen? Das kürzlich erschienene Buch „Die Affenbande“ könnte so eines sein, denn es hebt sich deutlich von seinen Mitbewerbern ab. Endlich mal ein Kinderbuch über Affen, das auch der/dem primatologisch Vorgebildeten nicht gleich die Haare zu Berge stehen läßt! Das englische Original wurde verfasst und illustriert von Owen Davey, der bereits vielfach für seine originellen Illustrationen ausgezeichnet wurde. Daveys Stil ist sehr reduziert und schematisch, arbeitet aber die wesentlichen Merkmale deutlich heraus, so dass man trotz der minimalistischen Darstellung jede Affenart klar erkennen kann. Das muss nicht jedermanns Geschmack treffen, mir gefällt es. Der Text beschränkt sich auf ein paar wesentliche Fakten und einige interessante Anekdoten aus der Familie der Primaten und scheint mir für 8- bis 10jährige angemessen. Einzig die deutsche Übersetzung weist einige Mängel auf. So wurde die im Englischen wesentliche Unterscheidung zwischen „monkeys“ und „apes“ bei der Übersetzung nicht erkannt, so dass am Ende doch wieder die Frage offen bleibt: Was ist eigentlich ein Affe? Aber das weiß dann ja schließlich jeder Erwachsene. Oder?

An Adventure in Statistics

Andy Field: An Adventure in Statistics – The Reality Enigma. Sage, 2016. ISBN 978-1-4462-1045-1.

Wir schreiben das Jahr 2100. Nach der Erfindung des Realitätsprismas, das den Menschen ermöglichte sich selbst und andere so zu sehen, wie sie wirklich sind, brach das gesamte Gesellschaftsgefüge, das zum großen Teil auf Täuschung und Verführung beruhte, zusammen. Die Menschheit teilte sich auf in „Chippers“, die über einen implantierten Chip alle Gedanken und Gefühle miteinander teilen und in „Clocktorians“, die sich dieser Technologie verweigern.
Bei dieser Einleitung kommt man nicht unbedingt auf die Idee, dass es sich hier um ein Statistik-Lehrbuch handelt. Tatsächlich verbindet Andy Field, Autor diverser Statistik-Bücher, eine spannende Sciencefiction-Story mit der Vermittlung seriöser Statistik-Lehre. Hauptcharakter der Geschichte ist Zach, ein begnadeter Musiker, aber in wissenschaftlichem Denken völlig unbedarft. Als seine Freundin Alice, eine Genetikerin, auf mysteriöse Weise verschwindet, muss sich Zach auf der Suche nach ihr intensiv mit dem Aufbau wissenschaftlicher Experimente und deren statistischer Auswertung beschäftigen. Zach trifft auf seiner Suche diverse Charaktere, die ihm statistische Probleme erklären und seine Fragen beantworten. Anschauliche Grafiken erleichtern das Verständnis.
Die einzelnen Kapitel behandeln jeweils ein statistisches Thema, z.B. lineare Regressionen oder Vergleiche von Mittelwerten, so dass man sich theoretisch auch die Themen herauspicken könnte, die man gerade braucht. Allerdings war es gerade dieses Verhalten von Studenten und Wissenschaftlern, das den Autor dazu motivierte, das Thema in eine spannende Geschichte zu verpacken, damit der Leser ein fundiertes Grundwissen der Statistik in sinnvoll aufeinander aufbauenden Gedankengängen erwirbt. Da fühlte ich mich doch glatt ertappt! Und auch wenn ich die 684 Seiten Text (noch?) nicht durchgelesen habe, möchte ich dieses Buch doch jedem ans Herz legen, der sich mit Statistik beschäftigen möchte oder muss.

Faszinierendes Gehirn

Henning Beck, Sofia Anastasiadou, Christopher zu Meyer Reckendorf: Faszinierendes Gehirn – Eine bebilderte Reise in die Welt der Nervenzellen. Springer Spektrum, 2016. ISBN 978-3-662-47091-6. (€29,99)

Carl Edward Schoonover: Portraits of the Mind – Visualizing the Brain from Antiquity to the 21st Century. Harry N. Abrams, 2010. ISBN 978-0-8109-9033-3.

Gerade ist die Ausstellung „Portraits of the Mind“, die uns in die faszinierende Welt der optischen Darstellung des Nervensystems entführte, zu Ende gegangen. Und manch einer hat vielleicht nicht die Muße gefunden, die Ausstellung zu besichtigen, oder möchte etwas mehr über das Dargestellte erfahren. Da trifft es sich ganz gut, dass der Spektrum Verlag gerade das Buch „Faszinierendes Gehirn – Eine bebilderte Reise in die Welt der Nervenzellen“ herausgebracht hat, in dem sich viele der Abbildungen aus „Portraits of the Mind“ wiederfinden. Im Gegensatz zum Buch von Carl Schoonover, auf dem die Ausstellung basiert und das den Schwerpunkt mehr auf den Aspekt der Darstellungsmethoden legt, erklären die Neurobiologen Henning Beck, Sofia Anastasiadou und Christopher zu Meyer Reckendorf die Grundlagen der Neurowissenschaften, von Anatomie und Funktion des Nervensystems über die Methoden der Forschung bis hin zur Frage „Was ist das Ich?“. Auf jeweils ein bis zwei Doppelseiten wird ein Thema kurz und prägnant abgehandelt, ansprechende Abbildungen unterstützen das Verständnis. Auch wenn der Text ausgesprochen gut lesbar, allgemeinverständlich und anschaulich ist, wird man auf den 325 Seiten mit ziemlich viel Information gefüttert. Für mein Gehirn eindeutig zu viel um das Buch von vorn bis hinten durch zu lesen! Aber das macht nichts. Der Aufbau des Buches lädt gerade dazu ein, ein bisschen hier und dort zu schmökern oder sich die Themen heraus zu picken, die einen im Augenblick interessieren. Und die tollen Bilder machen das Ganze zu einem optischen Genuss. „Faszinierendes Gehirn“ ist ein Buch, das man sicherlich immer mal wieder gern zur Hand nehmen wird.

Alles begann mit Sex

Robert Martin: Alles begann mit Sex – Neue Fragestellungen zur Evolutionsbiologie des Menschen. Librum Publishers, 2015. ISBN 978-3-9524300-4-0

Robert Martin: How We Do It – The Evolution and Future of Human Reproduction. Basic Books, 2013. ISBN 978-0-465-03015-6

„Alles begann mit Sex“ – dazu hätten sicherlich viele etwas zu sagen: Sozialwissenschaftler, Urologen, Eltern. Robert Martin ist Biologe und hat sich sein Leben lang mit der Evolution der Reproduktion bei Primaten und anderen Säugern beschäftigt. Sein Buch führt uns daher weniger in das Labyrinth unserer Gefühlswelten als zu den Basics unserer Biologie. Es beginnt auch nicht mit Bienen und Blumen, denn das setzt schon einige Kenntnis der Reproduktionsvorgänge voraus, sondern mit dem Klapperstorch. Gerade einmal 300 Jahre ist es her, dass die ersten Wissenschaftler eine Idee davon bekamen, wie die Befruchtung funktionieren könnte. Ein italienischer Priester, der männlichen Fröschen enge Tafthosen anzog, spielte dabei eine wesentliche Rolle. Man merkt, auch der Humor kommt nicht zu kurz in diesem Buch. Robert Martin führt uns durch die Geschichte der Reproduktionsforschung von der Mobilität der Spermien über die Bestimmung der fruchtbaren Tage bis hin zur Frage aller Fragen, welches Paarungssystem wohl der Biologie des Menschen entspricht. Auch Schwangerschaft, Stillzeit, Empfängnisverhütung und moderne Reproduktionstechnologie werden erörtert. Im Zentrum stehen dabei immer unser evolutionäres Erbe und der Vergleich mit anderen Primatenarten und Säugetieren. Das ganze wird in einem lockeren, gut lesbaren Stil erzählt und auch der vorgebildete Leser wird sicherlich noch das eine oder andere Neue erfahren. Ich hatte jedenfalls ein besonderes Aha-Erlebnis, das ich aber hier nicht teilen möchte. Insgesamt ein interessantes Buch über ein Thema, das wirklich jeden betrifft und das ich wärmstens empfehlen kann.

Cover Monkey Business

Jan Lauwereyns: Monkey Business – Roman aus der Hirnforschung von einem Laboraffen erzählt. Dielmann Verlag, 2015. ISBN 978-3-86638-208-4

Manchmal bekommt man ein Buch in die Hände, das man eigentlich gar nicht lesen möchte. Trotzdem schlägt man es auf und liest mit gemischten Gefühlen, denn es ist gut geschrieben und man möchte doch wissen, wie es weiter geht. Am Ende weiß man aber immer noch nicht so recht, was man nun von diesem Buch halten soll. So erging es mir mit „Monkey Business“ von Jan Lauwereyns. Der Verlag nennt das Buch einen „Bewußtseinsroman“. Es ist in der Ich-Form geschrieben, aus der Sicht des Japanmakaken Haruki, der in einer japanischen Universität als Versuchstier in der invasiven Hirnforschung eingesetzt wird. Im Angesicht seines nahen Todes läßt Haruki sein Leben Revue passieren, erzählt detailliert von Einzelkäfighaltung, Schädeloperationen, Wasserentzug und tagelangen Versuchen. Bei dieser Beschreibung würde man einen strikten Tierversuchsgegner als Autor erwarten. Tatsächlich ist Jan Lauwereyns Neurowissenschaftler und führt selbst die geschilderten Versuche durch. Er gibt seinem Haruki den Verstand eines naturwissenschaftlich gebildeten Mitteleuropäers, der über Neurowissenschaften, Ethik und Glauben sinniert. Auch wenn sich das Thema sehr schwer anhört, so läßt es sich doch leicht lesen, da Lauwereyns zum einen ein wirklich guter Erzähler ist und zum anderen seinen Haruki mit einem zynischen Humor ausgestattet hat. Ob einem das Buch letzten Endes gefällt, mag jeder Leser selbst entscheiden. Ich werde noch eine Weile darüber nachdenken.

Storytelling Apes

Mary Sanders Pollock: Storytelling Apes – Primatology Narratives Past and Future. The Pennsylvania State University Press, 2015. ISBN 978-0-271-06630-1

Geschichtenerzählen ist eine Fähigkeit, die den Affen Homo sapiens von den anderen Affen unterscheidet. Manche menschlichen Affen erzählen sogar Geschichten über nichtmenschliche Affen, welche sie bei deren Erforschung erlebt haben. Diese populärwissenschaftlichen Publikationen von Primatologen analysiert Mary Sanders Pollock, Literaturwissenschaftlerin, in ihrem Buch „Storytelling Apes“ und schlägt dabei einen Bogen von Charles Darwins „Abstammung des Menschen“ bis zu Robert Sapolskys „Mein Leben als Pavian“. Man bekommt beim Lesen des Buches nicht nur einen Eindruck von der Entwicklung der primatologischen Wissenschaft als solche, sondern auch von der veränderten Einstellung der Wissenschaftler gegenüber ihren Studienobjekten, welche insbesondere in jüngerer Zeit durch die starke Bedrohung freilebender Primatenpopulationen geprägt ist. Pollock fokussiert dabei stark auf die individuellen Beziehungen zwischen Forscher und Forschungsobjekt und versucht, soweit möglich, die persönliche Entwicklung der einzelnen Primatologen nachzuvollziehen. Manche Interpretation geht dabei allerdings, für meinen Geschmack, etwas weit. Ebenso habe ich die literaturwissenschaftlichen Exkurse mehr überflogen als gelesen. Trotzdem ist „Storytelling Apes“ ein interessantes, gut lesbares Buch, das einen schönen Überblick über die populärwissenschaftliche primatologische Literatur gibt und sicherlich das Interesse weckt, das eine oder andere Werk im Ganzen zu lesen. Natürlich findet man diese Bücher auch in der DPZ-Bibliothek!

Das sechste Sterben

Elizabeth Kolbert: Das sechste Sterben – Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt. Suhrkamp, 2015. ISBN 978-3-518-42481-0 (€ 24,95)

Elizabeth Kolbert: The Sixth Extinction – An Unnatural History. Bloomsbury, 2014. ISBN 978-1-4088-5124-1

In der Roten Liste der bedrohten Arten 2014 sind 94% der heute lebenden Primatenarten in die drei höchsten Gefährdungskategorien eingeordnet. Schätzungen zufolge werden unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, in wenigen Jahrzehnten im Freiland ausgestorben sein. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Bereits jetzt sterben täglich vermutlich dutzende Tier- und Pflanzenarten aus. Dies liegt weit über der natürlichen Aussterberate. Verschwindet ein signifikanter Anteil der Lebewesen auf der Welt innerhalb eines geologisch unbedeutenden Zeitraums, spricht man von Massenaussterben. Fünf große Massenaussterben in der Erdgeschichte konnten durch fossile Belege nachgewiesen werden. Es spricht vieles dafür, dass wir zurzeit das sechste erleben. Elizabeth Kolbert beschreibt in ihrem Buch detailliert die Geschichte der Erforschung von Massenaussterben und reist an verschiedene Orte der Erde, an denen das heutige Aussterben besonders evident ist. Sie beleuchtet dabei die verschiedenen Gründe für das derzeitige Aussterben, wie Klimaerwärmung, Versauerung der Meere, Einschleppung exotischer Arten und die Veränderung der verfügbaren Landmasse durch Siedlung, Nahrungsmittelproduktion und Rohstoffabbau. Trotz der Komplexität des Themas ist das Buch flüssig geschrieben und gut lesbar. Der Stil ist sehr sachlich. Aber Vorsicht – es ist kein leichter Stoff. Selbst mich als Leserin, die mit dem Thema vertraut ist, hat diese komprimierte Zusammenstellung des derzeitigen Massenaussterbens erschüttert. Trotzdem ist „Das sechste Sterben“ ein wichtiges Buch, für das die Autorin zu Recht den Pulitzerpreis bekommen hat und das man unbedingt lesen sollte.

Cover: Hirnrissig

Henning Beck: Hirnrissig: Die 20,5 größten Neuromythen – und wie unser Gehirn wirklich tickt. Hanser Verlag, 2014. ISBN 978-3-446-44038-8

Wir nutzen nur 10% der Kapazität unseres Gehirns. Die rechte Hirnhälfte ist für Gefühle, die linke für logisches Denken verantwortlich. Mit jedem Vollrausch gehen unwiederbringlich Hirnzellen verloren. Glauben Sie an solche Erkenntnisse aus der Hirnforschung, die durch die Massenmedien verbreitet werden? Ich muss leider zugeben, dass ich auch schon der einen oder anderen dieser Schlagzeilen aufgesessen bin. Als bekannt wurde, dass es verschiedene Lerntypen geben soll, habe ich mich gleich dem visuellen Typ zugeordnet. Jetzt weiß ich es allerdings besser, denn ich habe „Hirnrissig – Die 20,5 größten Neuromythen und wie unser Gehirn wirklich tickt“ gelesen. Anhand von 20 sogenannter Neuromythen führt uns der Neurobiologe Henning Beck quer durch die modernen Neurowissenschaften. Angefangen beim Aufbau des Gehirns und der Erregungsleitung durch die Nervenzellen, erfahren wir, wie sich das Gehirn durch ständiges Lernen verändert, was beim Altern und bei neurodegenerativen Krankheiten, wie Parkinson und Multiple Sklerose, passiert und erhalten einen Einblick in die Methoden der Neurowissenschaften, einschließlich Magnetresonanztomographie. Dabei ist der Text immer leicht verständlich, der Ton locker und auch der Humor kommt nicht zu kurz. Schließlich war der Autor 2012 deutscher Meister im Science Slam. Das Buch ist sicher nicht für Neurowissenschaftler geschrieben, aber der neurobiologisch interessierte Laie kann beim Lesen einiges lernen. Apropos, wie ist das denn nun mit dem visuellen Lerntyp? Laut Henning Beck sind bei jedem alle Sinneskanäle gleichermaßen offen zum Lernen. Die Häufigkeit der Wiederholungen bringt es. Das hätte mir allerdings auch schon früher auffallen können, denn die mühsam angelesenen Daten der Punischen Kriege sind mir recht schnell wieder entfallen, während sich die Schlagertexte der 70er Jahre auf erschreckende Weise in mein Hirn gebrannt haben. Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei…

Cover Affenwelten
Cover: Monkey Planet

Affenwelten – Das ultimative Tierporträt der Primaten, Polyband 2014, Sprache: Deutsch, 129 min

Monkey Planet – Our Primate Family, As You've Never Seen Them Before, BBC 2014, Sprache: English, 180 min

Orangutans, die Seife benutzen, Paviane, die in Höhlen übernachten und Javaneraffen, die menschliche Haare als Zahnseide benutzen – das BBC Earth Team ist um die ganze Welt gereist, um außergewöhnlichen Aufnahmen von außergewöhnlichen Primaten zu sammeln. Genießen kann man diese Aufnahmen auf der gerade erschienenen DVD „Affenwelten – Das ultimative Tierportrait der Primaten“ („Monkey Planet). Neben dem eingangs erwähnten außergewöhnlichen Verhalten gibt es jedoch auch jede Menge gewöhnliches Primatenverhalten zu sehen, klug und interessant präsentiert, wie wir es von BBC Dokumentationen kennen. Das Portrait der Primaten wird uns als Dreiteiler geliefert mit den Titeln: „Planet der Primaten“, „Familienangelegenheiten“ und „Unsere schlauen Verwandten“. Es wird uns die Diversität der Primaten näher gebracht, mit ihrer Fähigkeit zur Anpassung an verschiedenste Lebensräume, der Vielfalt der sozialen Systeme sowie ihrer außerordentlichen kognitiven Fähigkeiten. Zu den Themen werden jeweils Beispiele aus verschiedenen Weltregionen präsentiert. Leider wurden bei der deutschen Bearbeitung ganze 50 Minuten der Originaldokumentation gekürzt. Dies führt dazu, dass der Wechsel zwischen Lebensräumen und Arten oft hektisch und abrupt erscheint und der rote Faden nicht immer erkennbar ist. Dies ist besonders dem Umstand geschuldet, dass der Präsentator, George McGavin, der in der Tradition von David Attenborough durch die Dokumentation führt, in der deutschen Version komplett gestrichen wurde. Ich empfehle daher, möglichst das englische Original anzuschauen. Sowohl die deutsche Ausgabe „Affenwelten“ als auch die Originalversion „Monkey Planet“, befinden sich in der DPZ-Bibliothek.

 

Buchcover von "Affen der Welt"

Affen Thomas Marent und Fritz Jantschke (Text): Affen der Welt – Welt der Affen. München, Frederking & Thaler, 2014. ISBN 978-3-95416118-8 (49,99 €)

„Es ist beachtenswerth, daß wir bloß diejenigen Affen wirklich anmuthig finden, welche die wenigste Ähnlichkeit mit dem Menschen zeigen“, sagte Alfred Brehm vor 150 Jahren. Vergleicht man heute die Anzahl an Bildbänden über Menschenaffen mit der über andere Primaten, scheint sich diese Ansicht mittlerweile ins Gegenteil verkehrt zu haben. Oder liegt es daran, dass Nicht-Menschenaffen so schwer zu fotografieren sind? Der Schweizer Naturfotograf Thomas Marent beweist eindrucksvoll, dass es doch möglich ist. In den letzten Jahren hat er sich auf die Fotografie von Primaten in ihren natürlichen Lebensräumen konzentriert, und nun können wir die Ergebnisse seiner Arbeit in dem Bildband „Affen der Welt – Welt der Affen“ bewundern. Ich bin selbst schon von manchem Affen fast in den Wahnsinn getrieben worden, weil er unter schwierigen Bedingungen im Regenwald nicht mal eine Minute still sitzen wollte. Thomas Marent muss daher, neben seinem fotografischen Können, auch eine unglaubliche Geduld aufgebracht haben, um diese teilweise spektakulären Aufnahmen zu machen. Darüber hinaus ist auch das Layout des Buches überaus gelungen und macht bereits das Durchblättern zu einem reinen Vergnügen.

Der begleitende Text wurde von dem Zoologen Fritz Jantschke verfasst und ist wissenschaftlich aktuell, gut lesbar und interessant – in Länge und Tiefe genau richtig für den primatologisch interessierten Laien. Insgesamt ein wunderschönes Buch, das man gern immer mal wieder in die Hand nimmt!

Cover: Primate Ethnographies

Karen B. Strier (ed.): Primate Ethnographies. Pearson, 2014. ISBN 978-0-205-21466-2 (Sprache: Englisch)

„Na, wie war dein Urlaub in den Tropen?“ werden Freilandforscher nach ihrer Rückkehr oft gefragt. Was soll man darauf antworten? Soll man nur von den vielen Stunden berichten, in denen man seinen Affen hinterher rannte; von der Forschung, die manchmal aufregend, oft frustrierend, aber immer anstrengend ist? Oder soll man auch von der fremden Kultur erzählen, in die man eingetaucht ist, von den Menschen, die ein Stück ihres Lebens mit uns geteilt haben und die weit mehr als „Urlaubsbekanntschaften“ sind? Feldforschung hat immer zwei Dimensionen, die wissenschaftliche und die persönliche, und beide lassen sich kaum voneinander trennen. Karen Strier hat mit ihrem Essayband „Primate Ethnographies“ sich und einigen Kollegen die Möglichkeit gegeben, ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Ob dabei mehr die wissenschaftliche oder die private Dimension überwiegt, war jedem Autor selbst überlassen. Herausgekommen ist eine gut zu lesende, spannende Sammlung von Lebensgeschichten ganz unterschiedlicher Persönlichkeiten, die für ihre Leidenschaft, die Primatenforschung, in die exotischen Gegenden der Erde gegangen sind. Wie diese Erfahrungen ihr Leben geprägt haben, berichten die Autoren mit großer Offenheit. Und ganz nebenbei bekommt der Leser einen Überblick über die Primatenforschung in den letzten 50 Jahren, die bei aller Unterschiedlichkeit leider eine Gemeinsamkeit hat: die immens angestiegene Bedrohung der Primaten in ihren natürlichen Lebensräumen. Unbedingt lesenswert!

Cover: Primates of the World

Jean-Jacques Petter & François Desbordes: Primates of the World – An Illustrated Guide. Princeton University Press, 2013. ISBN 978-0-691-15695-8

Als „Coffee Table Book“ bezeichnet man ein Buch, das sich aufgrund seiner schönen Abbildungen und des eher knapp gehaltenen Textes, zum gemütlichen Durchblättern bei einer Tasse Tee oder Kaffee eignet. „Primates of the World – An Illustrated Guide“  ist ein solches Buch. Verfasst von dem 2002 verstorbenen Lemurenforscher Jean-Jacques Petter und erst 2010 im französischen Original herausgegeben, ist es nun in englischer Übersetzung erschienen. Die Texte sind kurz gehalten und erwartungsgemäß nicht besonders aktuell. Insbesondere die Systematik weicht deutlich vom heutigen Stand des Wissens ab. Für Nichtwissenschaftler bietet das Buch dennoch einen groben Überblick über Evolution, Systematik, Verhalten und Ökologie der Primaten sowie eine Einführung in das historische Verhältnis des Menschen zu seinen nächsten Verwandten. Was das Buch jedoch zu einem wahren Schatz macht, sind die überragenden Primatenillustrationen von François Desbordes. Ich habe wirklich selten so schöne und lebensnahe Zeichnungen von Primaten gesehen. Allein dafür lohnt sich die Anschaffung des Buches, das für rund 25€ auch relativ günstig ist. Wer gern in das Buch hineinschnuppern möchte, findet unter http://press.princeton.edu/releases/m10103.pdf eine Leseprobe oder setzt sich mit einer Tasse Tee oder Kaffee in die Leseecke der Bibliothek.

Cover: Thirteen Gold Monkeys

Benjamin Beck: Thirteen Gold Monkeys. Outskirtspress, 2013. ISBN 978-1-4787-0972-5. (Sprache: Englisch)

In Wirklichkeit waren es 149 und nicht nur 13 goldene Löwenaffen, die zwischen 1983 und 2005 im atlantischen Küstenregenwald Brasiliens ausgewildert wurden. Die Tiere stammten aus dem Erhaltungszuchtprogramm der nordamerikanischen zoologischen Gärten und sollten die stark bedrohte Population der Art in ihrem natürlichen Lebensraum vergrößern. Benjamin Beck, einer der Koordinatoren des Auswilderungsprogramms, erzählt in seinem Buch „Thirteen Gold Monkeys“ von den ersten Jahren dieses Projekts. Beck wählte für sein Buch die Romanform, die ihm erlaubte etwas lockerer mit den wissenschaftlichen Fakten und Protagonisten umzugehen, und ihm darüber hinaus die Möglichkeit eröffnete aus der der fiktiven Perspektive der Löwenaffen selbst zu erzählen. Das Ergebnis ist sicherlich kein Meilenstein der Literaturgeschichte, aber es ist ein nett zu lesendes, kurzweiliges kleines Buch über all die Fehlschläge, glücklichen Fügungen, Dramen, Querelen und Glücksmomente, die ein solches Projekt mit sich bringt. Nostalgiker werden an eine Zeit erinnert, als es noch kein GPS, kein Mobiltelefon und keine Email gab. Damals konnte man durchaus 100 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt im Urwald „verloren“ sein. Die Population der goldenen Löwenaffen, die Anfang der 80er Jahre nur noch ca. 200 Individuen umfasste, ist mittlerweile auf ungefähr 1700 Tiere angestiegen, von denen etwa ein Drittel Nachfahren der ausgewilderten Zootiere sind. Weitere Informationen über das Projekt und die heutige Situation der goldenen Löwenaffen findet man unter http://www.savetheliontamarin.org/ .

Cover: Mammals of the World: Primates

Russell A. Mittermeier, Anthony B. Rylands & Don E. Wilson: Handbook of the Mammals of the World Volume 3: Primates. Barcelona, Lynx Edicions, 2013. ISBN 978-84-96553-89-7

Fast viereinhalb Kilo schwer ist das neue und lang ersehnte Kompendium der Primatenforschung. Insgesamt 53 Autoren, darunter einige DPZ-Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, sowie 10 Editoren haben an dem 951 Seiten umfassenden Werk mitgearbeitet. Das „Handbook of the Mammals of  the World Volume 3: Primates“ beinhaltet die aktuellsten Informationen zu allen derzeit bekannten 681 Primatentaxa. Dazu gehören die Aspekte Taxonomie, Verbreitung, Verhalten, Ökologie, Bedrohung und Schutzmaßnahmen. Der Aufbau des Buches orientiert sich an der Taxonomie der Primaten. Zu jeder Primatenfamilie gibt es zunächst einen ausführlichen, reich bebilderten allgemeinen Text. Es folgt ein Informationsblock zu jeder Art, mit Illustrationen von Stephen Nash, dem bekanntesten Illustrator unter den Primatologen.
Es wird wohl kaum jemand schaffen, das ganze Buch durchzulesen, aber jeder kann sich die Informationen herauspicken, die benötigt werden. Trotzdem bieten insbesondere die Kapitel zu den einzelnen Primatenfamilien einen guten Überblick über die unterschiedlichen Taxa. Und die mehr als 700 teilweise sehr schönen Fotos, regen auch einfach zum Durchblättern an. Insgesamt ein sehr gutes, wenn auch leider teures Buch, das in der Primatologie schon länger gefehlt hat.

Cover Auf der Suche nach dem Gedächtnis

Seeger, Petra: Auf der Suche nach dem Gedächtnis – Der Hirnforscher Eric Kandel. Absolut Medien, 2008. ISBN 978-3-89848-520-3. DVD 95min + 25min Extras.

Eric Kandel ist wohl der bekannteste Neurobiologe unserer Zeit. Im Jahr 2000 bekam er den Nobelpreis verliehen für seine Forschung über die Prozesse im Gehirn, die für das Gedächtnis entscheidend sind. Der dokumentarische Biopic „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ entstand in Anlehnung an die gleichnamigen Autobiographie, in der Kandel nicht nur Einblick in seinen wissenschaftlichen Werdegang sondern auch in seine persönliche Lebensgeschichte gibt. 1929 als Jude in Wien geboren, musste er als Neunjähriger mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen. Dieses Erlebnis hat ihn nachhaltig geprägt. „Niemals vergessen“ sollte man den Holocaust und Kandel widmete sein Leben der Erforschung der biologischen Grundlagen des Erinnerns. Die Filmemacherin Petra Seegers begleitete Kandel in verschiedenen Situationen: in sein Labor in der Columbia Universität New York, im Gespräch mit jungen Kollegen und älteren Wegbegleitern, zu Hause in Kreis seiner Familie. Besonders beeindruckend: die Reise Kandels und seiner Frau nach Österreich, um dort nach Spuren ihrer Erinnerungen zu suchen. Nach 70 Jahren die Orte seiner Kindheit wieder zu finden, fällt auch einem Gedächtnisforscher nicht leicht. Wer sich von der Dokumentation detaillierte Informationen über die Forschung Kandels erhofft hat, mag vielleicht enttäuscht sein, dafür erhält man interessante Einblicke in die Gedanken Kandels zu Themen wie Kunst, Religion, Psychologie. Die DVD, wie auch die Autobiographie und das neueste Buch Eric Kandels „Das Zeitalter der Erkenntnis: die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute“ befinden sich in der DPZ-Bibliothek – und natürlich ebenso seine wissenschaftlichen Standardwerke!

Cover: Menschenaffen

Martha Robbins & Christophe Boesch (Hrg.): Menschenaffen – Begegnung mit unseren nächsten Verwandten. Hirzel Verlag, 2013. ISBN 978-3-7776-2232-3

Menschenaffen üben aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem Menschen von jeher eine besondere Faszination auf uns aus. Auch Verhaltensforscher sind davon nicht ausgenommen, und so verwundert es nicht, dass gerade Menschenaffenforscher eine besondere und individuelle Beziehung  zu ihren Untersuchungsobjekten haben. In dem Sammelband „Menschenaffen – Begegnung mit unseren nächsten Verwandten“ berichten zehn Feldforscher von ihrer Arbeit an den afrikanischen Menschenaffen. Sie erzählen von interessanten Forschungsergebnissen, Anekdoten aus dem Familienleben, aber auch von der unendlichen Mühsal und oftmals Frustration der Feldforschung in den endlegendsten Winkeln Afrikas. Trotz der sehr persönlichen Geschichten, ist das Buch in einem sachlichen Stil geschrieben, im Text eingebundene Themenboxen informieren zusätzlich über den derzeitigen Stand der Forschung. Alle vier afrikanischen Menschenaffenarten sind akut vom Aussterben bedroht. Auch diese Tatsache bekommt beim Lesen des Buches eine persönliche Dimension. Es ist erstaunlich mit wie viel Optimismus und Elan die Autoren weiterhin ihre Forschung betreiben und sich für den Schutz der Schimpansen, Bonobos und Gorillas einsetzen. Vielleicht, weil ihnen mehr als anderen bewusst ist, dass wir mit den Menschenaffen auch viel von dem Wissen über unsere eigene Biologie verlieren würden.

Buchcover: Madagaskar
DVD Cover: Madagaskar

Lennart Pyritz: „Madagskar – Von Makis und Menschen“. Springer Spektrum, 2012. ISBN 978-3-8274-2961-2

BBC Earth: „Madagaskar – Ein geheimnisvolles Wunder der Natur“ Polyband Medien, 2012. 150min + 40min Bonus. Sprachen: Deutsch, Englisch.

Bereits seit 20 Jahren erforschen Wissenschaftler des DPZ auf Madagaskar das Verhalten und die Ökologie von Lemuren. Dabei sammelt man als Feldforscher nicht nur wissenschaftliche Daten sondern auch jede Menge Erfahrungen mit einer exotischen Umwelt und Kultur. Jetzt lassen sie uns an ihren reichhaltigen Erfahrungen teilhaben und geben uns einen Einblick in das Leben auf dieser faszinierenden Insel. Lennart Pyritz verbrachte im Rahmen seiner Doktorarbeit am DPZ insgesamt 14 Monate auf Madagaskar. In seinem Buch „Madagaskar – Von Makis und Menschen“ läßt er uns die Insel aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Der erste Teil besteht aus Essays verschiedener Wissenschaftler zu Naturgeschichte, Umweltschutz, Geschichte, Politik und Kultur Madagaskars. Im zweiten Teil schildert uns Lennart Pyritz seine persönlichen Erfahrungen, die er in Form eines Feldtagebuchs festgehalten hat. Dabei begegnen wir so unterschiedlichen Charakteren wie der Darth-Vader-Bremse oder einer schusseligen madagassischen Postangestellten. Eingestreut im Feldtagebuch finden wir kurze Forschungsberichte weiterer Wissenschaftler, überwiegend aus dem DPZ. Abgerundet wird das Buch durch eine Menge wirklich wunderschöner Fotos.

Bewegte Bilder der madagassischen Natur bietet dagegen die BBC Earth Dokumentation „Madagaskar – Ein geheimnisvolles Wunder der Natur“, die gerade auf DVD herausgekommen ist. Wie immer hervorragend in Bild und Kommentar zeigt uns die BBC die außergewöhnliche Fauna und Flora Madagaskars mit ihren so unterschiedlichen Ökosystemen. Als Bonus begleiten wir zwei Katta-Mütter mit ihren Babys in den ersten Wochen nach der Geburt.

Madagaskar – eine Möglichkeit dem ungemütlichen deutschen Winter (zumindest im Kopf) für eine kleine Weile zu entfliehen!

Buchcover

Julia Fischer: Affengesellschaft. Suhrkamp, 2012. ISBN 978-3-518-42302-8

Viele von uns kennen Julia Fischer, Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie am DPZ, als brillante Rednerin bei wissenschaftlichen wie auch öffentlichen Vorträgen. Jetzt ist ihr erstes populärwissenschaftliches Buch erschienen und wir fragen uns: Kann sie ebenso gut schreiben wie reden? Sie kann! „Affengesellschaft“ ist eine gelungene Mischung aus seriöser wissenschaftlicher Information und unterhaltsamen Geschichten aus der Primatenforschung. Der Leser erhält einen fundierten Überblick über Sozialverhalten, kognitive Fähigkeiten und Kommunikation bei Primaten auf dem neuesten Stand des Wissens. Gleichzeitig nimmt uns Julia Fischer mit auf eine Reise durch ihren eigenen wissenschaftlichen Werdegang von den Berberaffen in Frankreich über die Bärenpaviane in Botswana zu den Guineapavianen im Senegal.  Für DPZ-Mitarbeiter hat es natürlich seinen besonderen Reiz, etwas über das Leben der Kollegen im Freiland zu erfahren. „Die Evolution des menschlichen Sozialverhaltens, unserer Intelligenz und Sprache verstehen“ ist die Motivation, die Julia Fischer und ihre Mitarbeiter antreibt. Für mich hebt sich „Affengesellschaft“  ausgesprochen positiv von einer Reihe von Sachbüchern ähnlicher Fragestellungen ab, weil Julia Fischer ihre Forschungsergebnisse sehr vorsichtig  interpretiert und sich nicht zu gewagten Hypothesen hinreißen lässt. Wolf Singer bezeichnet dies im Klappentext als „intellektuelle Redlichkeit“ und dem stimme ich voll zu. Bleibt nur eine Frage offen: Liebe Julia, wann können wie das nächste Buch von dir lesen?

Buchcover: Virus
Dvd Cover: Contagion

Nathan Wolfe: Virus – Die Wiederkehr der Seuchen. Rowohlt, 2012. ISBN 978-3-498-07376-3

Contagion, Regie: Steven Soderbergh, Warner Brothers, 2011.

"Abenteuerliche Expeditionen in entlegene tropische Regenwälder auf der Suche nach neuen Arten - geschrieben vom Indiana Jones seiner Zunft" - wer würde bei einer solchen Buchankündigung ausgerechnet einen Virologen als Autor vermuten? Wer sich positiv überraschen lassen möchte, sollte "Virus - die Wiederkehr der Seuchen" lesen. Nathan Wolfe begann seine wissenschaftliche Karriere mit der Erforschung von Selbstmedikation bei Schimpansen im Kibale Wald in Uganda. Doch bald schon waren es die Krankheitserreger selbst, die ihn mehr interessierten. In seinem Buch führt uns Wolfe in die faszinierende Welt der Einzeller, Bakterien, Viren und Retroviren ein. Wir bekommen einen Einblick in das komplexe ökologische System der parasitären Mikroorganismen und erfahren, warum es für manche Arten eine sinnvolle Strategie ist, ihren Wirt zu fürchterlichen Krankheitssymptomen bis hin zum Tod zu provozieren. Wir lernen, wie Krankheitserreger die Wirtsart wechseln und sich unter Umständen über den ganzen Globus ausbreiten können. Dem erschreckenden Szenario zukünftiger Pandemien setzt er seine Vision einer globalen Seuchenkontrolle entgegen. Als Direktor, der von ihm gegründeten "Global Viral Forecasting Initiative" versucht er potentiell gefährliche neue Viren aufzuspüren, bevor sie sich ausbreiten können. Ich persönlich fand das Buch so spannend, dass ich es an einem Wochenende durchgelesen habe.
Wer sich jetzt doch nicht dazu überwinden kann, ein ganzes Buch über Viren zu lesen, kann sich stattdessen den Spielfilm "Contagion" ansehen, der die Geschichte einer hochgefährlichen Pandemie, von ihrer Entstehung über die Ausbreitung bis zur Bekämpfung, erzählt. Der Regisseur Steven Soderbergh ließ sich vom amerikanischen "Center for Disease Control and Prevention" beraten und man merkt dem Film an, dass die wissenschaftlichen Hintergründe sorgfältig recherchiert wurden. Zugunsten einer detailliert erzählten Geschichte anhand von Einzelschicksalen, wurde auf die übliche reißerische Hollywood-Dramatik verzichtet. Ich habe den Film auch deshalb gern gesehen, weil ich vieles, das ich durch die Lektüre des Wolfe-Buches gerade gelernt hatte, im Film wiedererkennen konnte. Warum also nicht mal ein „Viren-Wochenende“? Buch und Film gibt es in der DPZ-Bibliothek.