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Mit Weißbüschelaffen gegen Taubheit

Leibnizpreisträger Prof. Tobias Moser, Neurowissenschaftler und Ohrenarzt, erläutert seine preisträchtige Forschung und warum er zur Entwicklung von besseren Cochlea-Implantaten auf Forschung mit Weißbüschelaffen angewiesen ist.
Prof. Tobias Moser im Labor an der Universitätsmedizin. Er inspiziert den Operationssitus im Ohr der Maus durch das Mikroskop. Foto: Christian Kiel
Das Foto zeigt Tobias Moser
Leibniz-Preisträger Prof. Tobias Moser. Foto: Irene Böttcher-Gajewski
Das Foto zeigt ein Cochlea-Implantat
Ein gängiges Cochlea-Implantat im Jahr 2015 zur Behandlung von Taubheit oder Schwerhörigkeit. Foto: Christian Kiel

Tobias Moser, Professor für Auditorische Neurobiologie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), hat im Dezember 2014 den wichtigsten Forschungspreis in Deutschland, den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), zugesprochen bekommen. Der Preisträger unterhält enge Forschungsbeziehungen zum Deutschen Primatenzentrum und leitet hier die Arbeitsgruppe Auditorische Neurowissenschaften. Der Preis ist mit 2,5 Millionen Euro für bis zu sieben Jahre dotiert. Das Fördergeld können die Preisträger laut DFG zum Beispiel einsetzen, um ihre Forschungsmöglichkeiten zu erweitern oder besonders hoch qualifizierte Nachwuchsforscher einzustellen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat insgesamt acht Wissenschaftlern den Leibniz-Preis 2015 zuerkannt, die Preisverleihung ist am 3. März. Im Interview erklärt Tobias Moser, was seine Forschung preiswürdig macht und warum er eine Arbeitsgruppe am DPZ unterhält.

DPZ: Herzlichen Glückwunsch zum Leibniz-Preis! Wie waren die ersten Tage nach der Bekanntgabe - hat sich in Ihrem Forscherleben etwas besonders Außergewöhnliches ereignet?

Tobias Moser: Die Tage waren gefüllt mit Freundlichkeiten und Zuspruch und das war natürlich sehr schön. Aber unmittelbar an dem Tag gab es zugleich ein tolles Forschererlebnis, und zwar hat mir mein Mitarbeiter Markus Jeschke mitgeteilt, dass er die direkte Aktivierung des auditorischen Kortex durch Cochlea-Stimulation gezeigt hat, das heißt also: Licht in die Cochlea und als Reaktion gab es neuronale Aktivität in der Hörrinde der Maus. Das war etwas, worauf wir lange hingearbeitet hatten und das kam eigentlich zeitgleich mit dem Anruf der DFG und so waren das also sehr positive, frohe Tage für uns alle.

DPZ: Aus welchem Grund haben Sie sich entschieden, sich wissenschaftlich mit der Erforschung des Innenohrs zu beschäftigen?

Tobias Moser: Das ist eine recht interessante Anekdote: Ich habe mich ganz zu Anfang mit sehr basalen Funktionen der Neurosekretion beschäftigt, also wie funktioniert die Transmitter-Ausschüttung, die Hormonausschüttung in Zellen? Die Methoden dazu habe ich bei Erwin Neher am MPI für biophysikalische Chemie gelernt. Aber ich merkte dann, dass mir die Untersuchung an einem Modellsystem wie zum Beispiel Nebennierenmarkszellen nicht attraktiv als langfristige Perspektive für meine eigene Arbeit erschien - nur deswegen, weil diese lebenswichtigen Zellen einfach nicht in so einem komplexen und interessanten System wie eine Sinneszelle oder Neuron liegen. Damals habe ich überlegt, in welchem System ich gern arbeiten möchte und das auditorische System hat mich im Fluge eingenommen: Weil dort die Spitzenleistung, was die zeitliche Präzision der synaptischen Übertragung angeht, zu Hause ist. Da wird mit sub-Millisekunden-Präzision die Information, die in unser Ohr reinkommt, in ein Nervensignal gewandelt und das möchte ich gern verstehen. Das setzt sich noch weiter fort, es geht ja nicht nur um die erste Synapse, die da zwischen den Sinneszellen und den Nervenzellen in der Hörschnecke so faszinierend funktioniert, sondern auch im weiteren Verlauf der Hörbahn gibt es sehr interessante Synapsen und auch die untersuchen wir. Der zweite Aspekt ist die klinische Relevanz unserer Forschungsarbeit. Ich habe mich nämlich parallel zur Entscheidung für die Erforschung des auditorischen Systems für die Facharztweiterbildung in der Hals-, Nasen und Ohrenheilkunde entschieden. Weil mir ebenso wichtig war, die Sinnesbehinderungen, die durch Beeinträchtigung des Systems entstehen, nämlich Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsprobleme, klinisch zu verstehen. Das ist nach wie vor eine große Motivation nicht nur für mich, sondern auch für die naturwissenschaftlichen Kollegen, die als Mitarbeiter bei uns tätig sind.

DPZ: Die DFG hat als Begründung für den Preis ihre Arbeit zu Ribbon-Synapsen besonders betont. Können Sie uns kurz erläutern, was genau sie über die Synapsen herausgefunden haben?

Tobias Moser: Zu dem Zeitpunkt, als wir in dieses Feld der synaptischen Schallkodierung eingetreten sind, war das geprägt von systemphysiologischen Ansätzen und ingenieurstechnischen Analysen. Das heißt, man hat versucht, mit Ableitungen aus dem Hörnerv oder psychophysischen Methoden die funktionellen Eigenschaften dieser Synapsen zu beschreiben. Gleichzeitig war auch die morphologische Analyse dieser Synapsen eher anekdotisch. Es war daher für einen jungen Wissenschaftler ein richtiges El Dorado zu sagen, wir möchten jetzt mit modernen Methoden dieses System besser verstehen. Da konnten wir einige grundsätzliche Beiträge zur Charakterisierung der synaptischen Schallkodierung zunehmend auf verschiedenen Ebenen leisten. Wir haben zellphysiologisch begonnen, das war mein Handwerkszeug, wir haben dann schnell verstanden, dass wir molekulare Methoden brauchen und die etabliert und dann war auch schnell klar, dass wir systemphysiologische Ansätze an der Maus, unserem Haupt-Tiermodell zu dieser Zeit, brauchen und in diesen Bereichen haben wir über die Jahre mit jüngeren Wissenschaftlern sich ergänzende Systeme aufgebaut. Und auf die Weise konnten wir dann erste Hinweise geben, was denn eigentlich die Funktion des "synaptic ribbon", des synaptischen Bandes, sein könnte. Und wir haben in Zusammenarbeit mit einer Pariser Gruppe eines der interessantesten Schwerhörigkeits-Gene untersucht, das seine Wirkung nur in der Synapse entfaltet, durch das Protein Otoferlin, und da die wichtigsten Beiträge zur Funktion des Proteins und zum Mechanismus der Schwerhörigkeit leisten können. Wir wollen verstehen, wie auf molekularer und zellulärer Ebene so spannende Funktionen wie submillisekundengenaue Präzision, langanhaltende Übertragungen mit hunderten von Vesikeln pro Sekunde an einer Synapse ermöglicht werden. Wir sind davon überzeugt, dass die Synapse in den Haarzellen extrem spezialisiert ist, das heißt, wir können Gendefekte haben, die keine weiteren Auswirkungen als die Taubheit haben. Eins der aktuellen Probleme ist auch die Fragen, wie wir die große dynamische Breite von Schalldrücken kodieren können. Es gibt sechs Größenordnungen, aber jede einzelne Nervenzelle kann nur einen Bruchteil davon kodieren und wir gehen der Hypothese nach, dass die Haarzelle die Gesamtinformationen über heterogene Synapsen auf verschiedene Nervenzellen verteilt.

DPZ: Im Moment arbeiten Sie daran, die derzeit weit verbreiteten Cochlea-Implantate, die gegen bestimmte Formen von Schwerhörigkeit helfen, mit optogenetischen Methoden zu verbessern. Was ist genau das Ziel und wie wollen Sie es erreichen?

Tobias Moser: Das aktuelle, elektrische Cochlea-Implantat ist sehr erfolgreich, das muss gesagt werden. Jetzt sind wir an einem Stand, wo Kinder, die taub oder hochgradig schwerhörig geboren werden, innerhalb des ersten Lebensjahres implantiert werden, dann Regelschulen besuchen können, lautsprachlich kommunizieren und sehr gute Berufsaussichten haben. Aber: Es gibt einfach Grenzen in der Entwicklung. Die hängen damit zusammen, dass von jedem dieser Elektrodenkontakte, die in der Salzlösung der Hörschnecke liegen, der Strom sich sehr weit ausbreitet und gleichzeitig immer große Nervenzellpopulationen angesprochen werden. Daher kann man die präzise Frequenzfähigkeit der Hörschnecke nur begrenzt nutzen. Das resultiert darin, dass die Patienten wenig Fähigkeiten haben, Tonhöhen zu unterscheiden, Schwierigkeiten haben, Melodien wahrzunehmen. Und das bedingt auch, dass es sehr schwer ist, Sprache im Störgeräusch zu verstehen, weil sie wichtige Informationen, die Gesunden helfen, Sprache vor Hintergrundgeräuschen hervorzuheben, nicht zur Verfügung haben. Als die Optogenetik in Deutschland entwickelt wurde, hat mich die Idee gepackt, mit einer optisch besser fokussierbaren Reizung der Nervenzellen in der Hörschnecke dieses wichtigste Problem des aktuellen Implantats anzugehen. Das ist uns auch in vorläufigen Experimenten an Nagern gelungen. Nun ist da ganz viel zu tun, in drei großen Tätigkeitsfeldern: Das eine ist Technologieentwicklung, das können wir nicht allein in Göttingen, das zweite die molekulargenetische Strategie: Wie baut man den "Lichtschalter", das Kanalrhodopsin, überhaupt in die Nervenzelle ein? Da bieten sich als Gen-Fähren derzeit adeno-assoziierte Viren an, die werden schon im Auge erfolgreich für Genersatz-Therapien eingesetzt. Beim dritten Feld ergibt sich der Zusammenhang mit unserer Arbeitsgruppe am Deutschen Primatenzentrum.

DPZ: In dieser Arbeitsgruppe am DPZ arbeiten sie mit Weißbüschelaffen. Welchen Vorteil bietet die Arbeit mit diesem Modell für Ihre Forschung zum Gehör?

Tobias Moser: Dabei geht es um funktionelle Charakterisierung des optogenetischen Implantats: Wir müssen nachweisen, dass die optische Reizung wirklich Vorteile gegenüber der elektrischen bietet. Und da haben wir derzeit Daten aus Nagern, in denen wir auf verschiedenen Stufen der Hörbahn die Aktivierung charakterisieren. Für den Vergleich sind nun die nicht-humanen Primaten ein notwendiges Modell, um präklinisch sowohl die Sicherheit des Gentransports durch die Viren zu prüfen und gleichzeitig den Test auf Verhaltensebene anzubieten: Wir möchten das natürliche Vokalisationsverhalten der Tiere nutzen, um zu prüfen, ob mit dem optischen Chochlea-Implantat eine normale Kommunikation möglich ist, wenn sie mit dem elektrischen Implantat nicht so gut funktioniert. Die Weißbüschelaffen nutzen antiphonale Kommunikation: Der eine wartet, bis der andere ausgesprochen hat. Insbesondere auch der sogenannte Phee-Call zeigt interessante Anpassungen an das Gegenüber. Das könnte ein sensibler Parameter sein, um zu prüfen, wie gut die Schallverarbeitung war und das vergleichen wir dann anschließend im elektrischen und optischen Implantat.

DPZ: Mit dem Preisgeld, das mit dem Leibniz-Preis verbunden ist, sollen herausragende Wissenschaftler ihre Forschungsmöglichkeiten verbessern dürfen. Haben Sie schon eine Idee, wie das für Sie aussehen könnte?

Tobias Moser: Ich finde, dass der Preis eine großartige Sache ist und genau zur rechten Zeit kommt. Wir wollen damit mehrere Projekte umsetzen: Das Optogenetik-Projekt haben ich gerade skizziert, aber auch die anderen zwei Felder, von denen ich sprach, werden durch die Förderung verstärkt. DPZ aktuell: Sie hatten mehrfach die Gelegenheit, Göttingen für attraktive Stellen zu verlassen - ist auch die immense Fachkompetenz im neurowissenschaftlichen Bereich, die man hier findet, einer der Gründe, warum Sie geblieben sind? Tobias Moser: Das ist genau der wichtigste Punkt. Ich schätze die Zusammenarbeit mit den universitären, aber auch mit den außeruniversitären Kollegen als extrem wichtig für unsere Forschung ein. Das betrifft sowohl die Synapsen, da haben wir hier in Göttingen eine einzigartige Expertise, das betrifft aber auch die hochauflösende Mikroskopie, die Biophysik ganz allgemein aber auch die systemische und theoretische Neurowissenschaft, wo hier einfach wichtige Kooperationspartner vor Ort sind, mit denen wir viel Freude bei der Zusammenarbeit haben.