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Mensch zwingt Säugetiere zur Kurzstrecke

Internationale Studie zeigt: Wo Menschen sind, laufen Tiere weniger weit
Säugetiere bewegen sich in Gebieten, die stark vom Menschen geprägt sind, deutlich weniger als in der Wildnis. Foto: Adam Wajrak/Senckenberg
Die Tiere laufen die Hälfte oder sogar nur ein Drittel der Strecke, die Säugetiere in der unberührten Natur absolvieren. Foto: Petra Kaczensky/Senckenberg
Die Tiere laufen die Hälfte oder sogar nur ein Drittel der Strecke, die Säugetiere in der unberührten Natur absolvieren. Foto: Petra Kaczensky/Senckenberg
Zwei Rotstirnmakis (Eulemur rufifrons) auf einem Baum. Das Männchen ist an seiner roten, das Weibchen an der weißen Stirn zu erkennen. Auch die Lemuren auf Madagaskar sind durch den menschlichen Einfluss auf ihren Lebensraum bedroht. Photo: Claudia Fichtel
Um die Bewegungen von Säugetieren rund um den Globus zu verfolgen, statteten die Forscher 803 Individuen aus 57 Arten mit GPS-Sendern aus. Foto: Thomas Müller/Senckenberg
Um die Bewegungen von Säugetieren rund um den Globus zu verfolgen, statteten die Forscher 803 Individuen aus 57 Arten mit GPS-Sendern aus. Foto: Thomas Müller/Senckenberg
Eine Sifaka-Familie auf Futtersuche. Photo: Claudia Fichtel
Eine Sifaka-Familie auf Futtersuche. Photo: Claudia Fichtel

Ob Zebras in der Savanne, Hasen auf dem Feld oder baumbewohnende Affen - landlebende Säugetiere sind täglich unterwegs und überwinden, unter anderem auf der Suche nach Futter, kürzere oder längere Strecken. In Gebieten, die stark vom Menschen geprägt sind, bewegen sie sich jedoch deutlich weniger als in der unberührten Natur. Ein internationales Forscherteam, an dem auch Claudia Fichtel und Peter Kappeler vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) beteiligt waren, hat in einer umfassenden Studie herausgefunden, dass die durchschnittlich zurückgelegte Strecke der Tiere bis zu dreimal geringer ausfällt. Dafür haben die Wissenschaftler die GPS-Bewegungsdaten von 57 verschiedenen Säugetierarten ausgewertet. Die Autoren weisen darauf hin, dass diese Entwicklung weitreichende Konsequenzen für die Ökosysteme und damit letztlich auch für den Menschen haben könnte (Science).

Wie das Wissenschaftlerteam um die Biologin Marlee Tucker, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Universität Frankfurt am Main, zeigen konnte, verringert sich der Aktionsradius von Säugetieren in Gebieten, die stark durch den Mensch geprägt sind, signifikant. Für ihre Untersuchung haben Tucker und die 114 Koautoren in der bisher umfassendsten Studie zu diesem Thema die Bewegungen von 803 einzelnen Säugetieren rund um den Globus ausgewertet. "Wir haben insgesamt 57 Säugetierarten untersucht. Von Hasen über Wildschweine bis hin zu Elefanten und Primaten. Die Forscher im Team hatten jedes Tier mit einem Sender ausgestattet. Per GPS konnten dann ihre Aufenthaltsorte für mindestens zwei Monate stündlich verfolgt werden", so Tucker.

Peter Kappeler und Claudia Fichtel, Wissenschaftler in der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am DPZ, steuerten zu der Untersuchung die GPS-Daten von acht Sifaka- und vier Rotstirnmaki-Gruppen bei, zweier Lemurenarten aus Madagaskar. An der dortigen DPZ-Feldstation Kirindy an der Westküste der Insel führen die Forscher seit über 20 Jahren Verhaltensstudien an Lemuren durch.

Alle Daten aus den weltweiten Standorten der Forscher wurden schließlich im Portal "Movebank" zusammengeführt, das die Tierbewegungen archiviert. Die Daten verglichen die Wissenschaftler mit dem "Human Footprint Index" der Gebiete, in dem sich die Tiere bewegten. Dieser Wert gibt an, wie sehr das Gebiet durch den Menschen verändert ist, beispielsweise durch den Bau von Siedlungen, Verkehrswegen oder Landwirtschaft. In Gebieten mit einem vergleichsweise hohen "Human Footprint Index", zum Beispiel einer typischen deutschen Ackerlandschaft, legen die dort lebenden Säugetiere, in zehn Tagen nur 33 bis 50 Prozent der Strecken zurück, die andere Säugetiere durchschnittlich in der unberührten Natur zurücklegen. Das gilt sowohl für die maximal in zehn Tagen zurückgelegte Strecke als auch für die durchschnittlich in diesem Zeitraum zurückgelegte Strecke.

Möglicherweise bewegen sich die Säugetiere weniger, weil sie ihr Verhalten an die durch den Menschen stark beeinflusste Umgebung angepasst haben. In einigen dieser Gebiete gibt es teilweise ein besseres Futterangebot, daher müssen die Tiere nicht mehr weite Strecken auf sich nehmen, um satt zu werden. Außerdem schränken Straßen und die Zerstückelung der Lebensräume vielerorts die Tiere in ihrer Bewegung ein.

"Unser Forschungsgebiet in Madagaskar hat einen mittleren Human Footprint Index von 21", sagt Claudia Fichtel. "Die untersuchten Lemuren an unserer Station leben zwar noch in einem nahezu intakten Wald, allerdings wird dieser auch in großem Maße abgeholzt. An anderen Orten in Madagaskar ist der Einfluss der Menschen noch gravierender. Dort sind ihre Lebensräume zerstört oder zerteilt, was der Grund für die Bedrohung vieler Lemurenarten in Madagaskar ist."

Die Forschenden sind besorgt, dass die verkürzten Strecken, die die Tiere zurücklegen, Ökosystemfunktionen, die an Tierwanderungen gekoppelt sind, maßgeblich beeinträchtigen könnten. "Dass Tiere bestimmte Distanzen überwinden ist wichtig, denn damit transportieren sie Nährstoffe und Samen zwischen verschiedenen Gebieten. Außerdem basieren viele natürliche Nahrungsnetze auf Tierbewegungen. Nicht zuletzt hängen Krankheitsübertragungen von Tierbewegungen ab. Wenn sich Tiere weniger bewegen, können sich viele dieser Prozesse in Ökosystemen verändern", so Tucker.

Originalpublikation

Tucker, M.A. et al. (2018): Moving in the Anthropocene: Global reductions in terrestrial mammalian movements. Science, DOI: 10.1126/science.aam9712