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"Bedrohungen dürfen Argumente nicht ersetzen"

Neurowissenschaftler Nikos Logothetis, Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, hat nach massiven Bedrohungen gegenüber ihm und seinen Mitarbeitern bekannt gegeben, künftig auf Forschung mit Rhesusaffen zu verzichten. Der Direktor des Deutschen Primatenzentrums, Stefan Treue, bedauert die Entscheidung des weltweit renommierten Forschers. Weil sie durch Drohungen und persönliche Anfeindungen von Tierversuchsgegnern bewirkt sei, habe sie keine Signalwirkung für die Forschung mit Primaten.
Ein Rhesusaffe (Macaca mulatta) in der Haltung des DPZ. Solche Tiere werden in der neurowissenschaftlichen Hirnforschung eingesetzt. Foto: Säckl
Das Foto zeigt Stefan Treue
Prof. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums. Foto: Ingo Bulla

Illegal im Tübinger Max-Planck-Institut gedrehte Videoaufnahmen von Affen in der Versuchstierhaltung waren 2014 bei „Stern TV" gezeigt worden und im Anschluss waren Logothetis und seine Mitarbeiter einer öffentlichen Kampagne durch die Urheber des Videomaterials ausgesetzt gewesen. Treue betont, „wegen dieser persönlichen Angriffe auf ihn und seine Mitarbeiter hat sich Nikos Logothetis gezwungen gesehen, aus der Forschung mit dem Primatenmodell auszusteigen, nicht aus wissenschaftlichen, ethischen oder juristischen Gründen oder wegen behördlicher Beanstandung seiner Forschung. Die entsprechenden Forschungsprojekte sind weiterhin behördlich genehmigt. Es ist daher auch zu begrüßen, dass die Max-Planck-Gesellschaft in ihrem offiziellen Statement die Bedeutung der Forschung von Nikos Logothetis unterstrichen hat und diese Art der Forschung weiterhin fördert und durchführt."

Die Baden-Württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Die Grünen) stellte klar, es sei „unstreitig, dass wir auf absehbare Zeit nicht auf tierexperimentelle Forschung - auch an nichthumanen Primaten - verzichten können, so zum Beispiel im Bereich der Erforschung und einer zukünftigen möglichen Heilung von Demenzerkrankungen." Die Äußerung der Baden-Württembergischen Landestierschutzbeauftragten, es stelle sich die Frage, ob die Notwendigkeit, so zu forschen, überhaupt noch besteht, bezeichnete die Ministerin als „zynisch".

Auch Bundeswissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) betonte die Unverzichtbarkeit von Erkenntnissen aus Tierversuchen für die deutsche Forschung und kritisierte die Aktivitäten der Tierversuchsgegner in Tübingen scharf: „Ich finde es absolut unerträglich, dass in Deutschland Wissenschaftler bedroht und unter Druck gesetzt werden. Es besteht zudem die Gefahr, dass weltweit renommierte Forscher ins Ausland abwandern."

Diese Bedrohung der Forschung in Deutschland wird auch international wahrgenommen: Das Tübinger Forschungszentrum CIN hat ein Unterstützungsschreiben für Nikos Logothetis veröffentlicht und dafür mittlerweile die Unterschriften von mehr als 4000 Forschern gewonnen. „Für die Stadt Tübingen wie für das Bundesland Baden-Württemberg ist dies ein großer Rückschritt auf dem Weg zur angestrebten Führungsrolle im Bereich innovativer Wissenschaft und Forschung", ist dort zu lesen.

„Der Rückzug von Nikos Logothetis aus der Forschung mit nicht-menschliche Primaten ist ein gravierender Verlust für die biomedizinische Forschung in Deutschland", kommentierte Stefan Treue die Entscheidung seines Forscherkollegens. „Für den Forschungsstandort bedeutet das außerdem, dass radikale Minderheiten mit kriminellen Aktivitäten einen nicht akzeptablen Einfluss auf die notwendige, demokratische, gesellschaftliche Diskussion über den Einsatz von Tieren in der Forschung gewinnen. Bedrohungen dürfen Argumente nicht ersetzen. Auf diese Weise entsteht genau das Gegenteil von den Ansprüchen, die Bürger an die ethische Diskussion stellen: Nicht demokratisch ausgehandelte, sachliche, ethische oder juristische Argumente entscheiden, sondern kriminelle Energie, Diffamierung und Bedrohung Einzelner. So etwas kann ebenso wenig akzeptiert werden wie die Einschüchterung von Lokalpolitikern oder die Diskriminierung von Ausländern."

Auch das Deutsche Primatenzentrum bekräftigt die Bedeutung der biomedizinischen Forschung mit Affen. „Primaten sind aufgrund ihrer Ähnlichkeit zum Menschen für einige Forschungsfragen als Versuchstiere unersetzbar. Affe und Mensch haben eine sehr ähnliche Anatomie und Physiologie, eine ausgeprägte Feinmotorik und einen sehr ähnlichen Aufbau des Gehirns und des Immunsystems. Egal, ob es um Impfstoffe gegen Ebola, um Tiefenhirnstimulation gegen Parkinson, Neuroprothesen oder andere komplexe Prozesse im menschlichen Körper geht - Untersuchungen an Affen erlauben die beste Übertragbarkeit von Erkenntnissen auf den Menschen”, so Treue. Bislang sei die Öffentlichkeit noch zu wenig über die Bedeutung von Tierversuchen für die biomedizinische Forschung informiert worden. Hier sieht Treue Handlungsbedarf, sowohl bei den Wissenschaftlern, als auch bei den großen Forschungseinrichtungen: „Wir müssen noch mehr darüber sprechen, warum wir Tierversuche durchführen."