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Gehör verschaffen - das Cochlea-Implantat für Schwerhörige

Das Foto zeigt ein implantiertes Kind
Ein Kind mit einem Cochlea-Implantat. Foto (unverändert): Ryan Poole

Weltweit profitierten im Jahr 2012 laut der Uniklinik Texas Southwestern Medical Center 324.000 Menschen  mit schweren Hörproblemen von Cochlea-Implantaten. In Deutschland leben laut der Deutschen Cochlear-Implant-Gesellschaft etwa 30.000 Menschen mit den Implantaten. Sie werden auch Innenohr-Implantate genannt und sind elektrische Stimulationsgeräte für die Hörschnecke im Ohr (lateinisch Cochlea). Die Implantate werden operativ in den Schädel der Patienten eingesetzt und sind mit einem außen am Schädel getragenen Hörgerät verbunden. Der elektrische Impulsgeber ersetzt dabei die funktionsgestörten Haarzellrezeptoren im Innenohr und die Cochlea gibt die Impulse an die Hirnareale weiter, die Hörsignale verarbeiten. Diese Implantate, die in vielen Fällen dafür sorgen, dass taub geborene Babys Hörfähigkeit erlangen und auch Sprechen lernen können, wurden in Versuchen mit Katzen und Meerschweinchen entwickelt. Katzen waren deswegen das hauptsächliche Modell, weil sie einerseits über besonders empfindliche Hörsinne verfügen, andererseits ihr Hörsystem dem menschlichen anatomisch sehr ähnlich ist. Für Katzen und Meerschweinchen als Modell sprach auch die Notwendigkeit, Modelle einzusetzen, die in einem ähnlichen Frequenzbereich wie Menschen hören. Die Versuche bewiesen, dass die elektrische Stimulation des Hörnervs funktioniert und die verbundenen Hirnregionen in der Lage sind, sich durch die Stimulation neu zu organisieren. Auch das gesamte detaillierte Verständnis der Struktur und Funktion der Hörschnecke geht auf Grundlagenforschung im Tierversuch zurück.

Eine direkte Stimulation des menschlichen Hörnervs mit elektrischen Signalen gelang zum ersten Mal 1957 den Wissenschaftlern André Djourno und Charles Eyriès in Paris. 1964 versuchte Dr. F. Blair Simmons bereits eine Operation eines freiwilligen menschlichen Patienten, stieß aber auf Probleme und arbeitete zunächst im Tierversuch weiter, um unter anderem den chirurgischen Ansatz und die ideale Anzahl von Elektroden zu definieren.

Dank den Erkenntnissen aus Tierversuchen konnten dann Ende der 1970er Jahre die ersten beiden Multikanalprozessoren bei Menschen eingepflanzt werden. Diese ermöglichten es Patienten erstmals, gesprochene Sprache zu verstehen, ohne von den Lippen ablesen zu müssen. Mitte der 1980er Jahre brachten die Mediziner Ernst Lehnhardt und Roland Laszig in Hannover für Deutschland das Cochlea-Implantat zur Alltagstauglichkeit. Als erstes Kind bekam 1986 ein Mädchen das Implantat. Heute ist die Operation ein risikoarmer Routineeingriff und wird selbst bei Säuglingen problemlos angewandt. So kann das Implantat zum Beispiel dabei helfen, gehörlos geborenen Kindern Sprachverständnis zu verschaffen (laut "Focus" werden Schätzungen zufolge etwa 3 von 1000 Kindern mit solchen schwerwiegenden Hörproblemen geboren).

In diesem Video wird die Funktionsweise eines Cochlea-Implantats anschaulich erklärt.

Mit optischer Stimulation zu mehr Hörqualität

Das Foto zeigt ein Cochlea-Implantat
Ein aktuelles, gängiges Cochlea-Implantat. Oben links ist der Teil zu sehen, der in die Hörschnecke eingesetzt wird. Foto: Christian Kiel

Für die elektrische Reizung der Hörschnecke gibt es Grenzen in der Entwicklung: Die Elektrodenkontakte des Implantats, die in der Salzlösung der Hörschnecke liegen, verbreiten Strom sehr weit und sprechen gleichzeitig immer viele Nervenzellen an, weshalb Patienten exakte Frequenzen nicht sehr genau hören können. Resultat: Die Patienten haben wenig Fähigkeiten Tonhöhen zu unterscheiden, haben Schwierigkeiten, Melodien wahrzunehmen und Sprache im Störgeräusch herauszuhören.

Zwar können neurologische Anpassung an die Empfindungen und ein intensives, langes Hörtraining nach der Operation die Probleme etwas mindern, aber nicht beheben. Mit einer besser fokussierbaren Reizung der Nervenzellen durch optische Reize wollen Wissenschaftler wie Tobias Moser, Leiter des Innenohrlabors der Universitätsmedizin Göttingen und einer Arbeitsgruppe am DPZ das Problem angehen. Diese Forschungsrichtung heißt "Optogenetik", denn die Zellen, die optisch gereizt werden sollen, müssen dazu zuerst genetisch "umgebaut" werden. Auch in diesem Bereich sind Tierversuche unter anderem mit Primaten notwendig.

Dem Team von Tobias Moser ist es in vorläufigen Experimenten an Nagern gelungen, den Hörsinn durch Lichtsignale statt elektrischen Strom zu reizen. Nun wird er seine Arbeit mit Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus) fortsetzen: Einerseits muss geprüft werden, ob die genetische Veränderung der Nervenzellen gefahrlos für Primaten ist, andererseits kommunizieren nur Affen so ähnlich wie Menschen mit Lauten, so dass nur mit diesem Modell ein Vergleich der Effektivität der beiden Implantat-Typen möglich wird.

Einen Beitrag im Leibniz-Magazin 3/2016 über Mosers Forschung sowie den Einsatz von Weißbüschelaffen finden Sie hier