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"Wir wollen die Auswirkungen von Langzeitnarkosen verstehen"

Ältere Patienten vertragen lange Narkosen oft schlechter als jüngere Menschen. Susann Boretius will herausfinden, warum das so ist.
Prof. Susann Boretius will mit ihrer Forschung dazu beitragen, die Auswirkungen von Langzeitnarkosen besser zu verstehen. Foto: Karin Tilch
Ein Javaneraffe in der Haltung des DPZ. Foto: Vanessa Schmitt
Ein Javaneraffe in der Haltung des DPZ. Foto: Vanessa Schmitt
Prof. Susann Boretius leitet die Abteilung Funktionelle Bildgebung am DPZ. Zu den Schwerpunkten ihrer Forschung gehört die Weiterentwicklung von Methoden der MRT und MRS. Außerdem erforscht sie verschiedene Krankheiten und arbeitet an der Verbesserung der Dignostik von Erkrankungen bei Tieren und Menschen mit Hilfe der MRT-Technik. Foto: Karin Tilch
Prof. Susann Boretius leitet die Abteilung Funktionelle Bildgebung am DPZ. Zu den Schwerpunkten ihrer Forschung gehört die Weiterentwicklung von Methoden der MRT und MRS. Außerdem erforscht sie verschiedene Krankheiten und arbeitet an der Verbesserung der Dignostik von Erkrankungen bei Tieren und Menschen mit Hilfe der MRT-Technik. Foto: Karin Tilch

Susann Boretius leitet die Abteilung Funktionelle Bildgebung am DPZ. Die promovierte Tierärztin und Physikerin möchte zusammen mit ihrem Team zum einen die Methoden der Magnetresonanztomographie und Magnetresonanzspektroskopie weiterentwickeln und verfeinern. Zum anderen erforscht sie verschiedene Krankheiten und versucht die Diagnostik von Erkrankungen bei Tieren und Menschen mit Hilfe der MRT-Technologie zu verbessern. In einem ihrer derzeitigen Forschungsprojekte untersucht sie die Auswirkungen von länger andauernden Narkosen, wie sie bei größeren Operationen oft nötig sind, auf das Gehirn. Sie untersucht dies an Javaneraffen. Im Interview erklärt sie, worum es bei der Studie geht und warum diese Forschung wichtig ist.

Sie erforschen die Auswirkungen von Langzeitnarkosen auf das Primatengehirn. Warum ist das wichtig?

Bei älteren Menschen, die zuvor durchaus geistig fit und agil waren, beobachtet man nach Operationen unter langer Narkose häufig eine sogenannte postoperative kognitive Dysfunktion, abgekürzt POCD. Die kognitiven Fähigkeiten der Patienten sind reduziert, sie haben beispielsweise Gedächtnislücken, sind verwirrt. Diese geistige Desorientierung kann sogar so weit gehen, dass ältere Patienten nach einer langen Narkose ihre eigenen Verwandten nicht mehr erkennen und sich nach der Krankenhausbehandlung nicht mehr allein zu Hause versorgen können. Wodurch dieser Zustand ausgelöst wird, weiß man im Detail leider noch nicht. Eine Reihe von Vorerkrankungen scheinen das Risiko für diese Erkrankung zu erhöhen. Zudem gibt es Hinweise, dass Narkosemittel eine krankhafte Durchlässigkeit der sogenannten Blut-Hirn-Schranke bewirken können. Substanzen, vor denen unser Gehirn sonst geschützt ist, könnten so für einen kurzen Zeitraum ins Gehirn eindringen und hier Hirnfunktionen beeinflussen oder auch Entzündungsreaktionen anstoßen oder verstärken, die dann zu den erwähnten kognitiven Beeinträchtigungen führen können. Dazu kommt, dass man das Auftreten dieses Krankheitsbildes nur schwer vorhersagen kann. Es gibt durchaus ältere Patienten, die lange schwere Operationen gut verkraften und am nächsten Tag wieder geistig fit sind, während andere längere Zeit desorientiert sind oder sich sogar überhaupt nicht mehr komplett von den Folgen der Operation und Narkose erholen. Mit unserer Forschung wollen wir einen Beitrag dazu leisten, diesen Krankheitskomplex besser zu verstehen.

Wie wird der Versuch durchgeführt und welche Daten nehmen Sie auf?

Für die Versuche setzen wir weibliche Javaneraffen im Alter von sechs bis etwas über 20 Jahren ein. Diese Tiere bilden damit eine Altersspanne vom jungen bis hin zum älteren Erwachsenen ab. Der Versuch ist in drei Schritten aufgebaut. Zunächst werden Verhaltenstests durchgeführt, die wir zuvor mit den Affen trainiert haben. Dabei geht es zum Beispiel darum, Mengenunterschiede zu erkennen oder Rosinen unter einem Becher wiederzufinden. Die verschiedenen Tests werden an mehreren Tagen vor und später dann in gleicher Weise nach der Narkose durchgeführt. Nach Abschluss der Tests werden die Javaneraffen in Vollnarkose über fünf Stunden im Magnetresonanztomographen (MRT) untersucht. Dabei werden die Affen, wie narkotisierte Menschen auch, kontinuierlich überwacht und ihre physiologischen Daten gemessen. So wird zum Beispiel ein Elektrokardiogramm aufgezeichnet, die Sauerstoffsättigung des Blutes kontinuierlich überprüft und der Kohlenstoffdioxidgehalt der Ausatemluft bestimmt. Zudem werden die Affen im Tomographen gewärmt, um ihre Körpertemperatur konstant zu halten. Am Anfang und am Ende der Narkose werden Blutproben genommen, um so genannte epigenetische Faktoren und Entzündungsparameter zu erfassen. Wir hoffen, damit Laborparameter zu finden, die in Zukunft beim Menschen eingesetzt werden können, um Risikopatienten zu erkennen.

Mittels MRT können wir sowohl strukturelle als auch funktionelle Eigenschaften des Gehirns erfassen. So können wir zum Beispiel die Größe einzelner Hirnregionen und den Anteil von weißer und grauer Substanz bestimmen. Hier erwarten wir - wie beim Menschen auch - Unterschiede zwischen jungen und alten Affen. Desweitern untersuchen wir den Stoffwechsel des Gehirns. So können wir zum Beispiel mittels der Magnetresonanz-Spektroskopie Neurotransmitter und Stoffwechselprodukte wie Glukose und Laktat messen, ohne das Gehirn zu beschädigen. Derartige Daten können sehr wichtige Hinweise geben, welche Narkosemittel oder auch welche Zusätze zu Infusionslösungen in Zukunft vielleicht helfen können, das Gehirn während der langen Operationen noch besser zu schützen. Mittels Netzwerkanalysen schauen wir uns an, wie unterschiedliche Gehirnregionen miteinander interagieren und ob es hierbei altersabhängige Unterschiede gibt. Am Ende der MRT-Sitzung wird mit Hilfe eines Kontrastmittels, das in dieser Art auch beim Menschen zum Einsatz kommt, die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke bestimmt. Am Ende des Tages wollen wir mit diesen Untersuchungen herausfinden ob und wie sich während der Narkose Vorgänge im Gehirn ändern und ob diese Veränderungen vom Alter der Tiere abhängen.

Nach einem Tag Pause machen die Javaneraffen dann im dritten Versuchsteil nochmals dieselben Verhaltenstests wie vor der Narkose. Hier wollen wir sehen, ob und wie sich die individuellen Leistungen der Tiere durch die Narkose verändert haben. Im ersten Durchgang des Versuchs haben wir uns mit dem Narkosegas Isofluran die Wirkung eines Inhalationsanästhetikums näher angeschaut. Im zweiten Durchgang, der voraussichtlich in der ersten Hälfte dieses Jahr beginnt, werden wir Propofol, ein in der Medizin sehr weit verbreitetes Injektions-Anästhetikum einsetzen, um so zwei sehr unterschiedliche Wirkstoffgruppen vergleichen zu können.

Inwieweit ist die Altersspanne der Javaneraffen mit der der Menschen vergleichbar?

Die Lebenserwartung freilebender Javaneraffen beträgt in etwa 20 Jahre. Aus Zoos gibt es Berichte von einzelnen Javaneraffen, die bis zu 38 Jahre alt geworden sind, aber das ist wohl eher die Ausnahme, ähnlich einem 120-jährigen Menschen. Wir gehen davon aus, dass unsere ältesten Tiere in etwa einem Menschen im Alter von Ende 60 entsprechen. Ab dem sechzigsten Lebensjahr steigt beim Menschen das Risiko an POCD zu erkranken deutlich, von den über 70-jährigen Patienten entwickeln bereits rund 50 Prozent nach einer längeren Operation dieses Krankheitsbild.

Welche wichtigen Erkenntnisse können Sie durch diese Versuche gewinnen?

Wir wollen besser verstehen, was unter Narkose und speziell bei über mehrere Stunden dauernden Narkosen in unserem Gehirn passiert und inwieweit diese Veränderungen vom Alter abhängen. Wir erhoffen uns davon Hinweise auf den Entstehungsmechanismus der teils schweren kognitiven Einschränkungen von Menschen nach größeren Operationen. Langfristiges Ziel derartiger Studien ist es, die nicht selten erforderlichen großen Operationen mit langen Vollnarkosen für ältere Menschen weniger gefährlich zu machen. Für Ärzte wäre es außerdem ein großer Vorteil, bereits im Vorhinein entscheiden zu können, ob eine Operation für den individuellen Fall des einzelnen Patienten vertretbar ist oder ein zu großes Risiko darstellt.

Warum werden für diese Versuche Primaten eingesetzt und keine weniger hoch entwickelte Tierart, wie zum Beispiel Mäuse?

Ein Großteil der Narkosetests wird und wurde bereits an Mäusen gemacht. Das hat auch zu vielen wichtigen Erkenntnissen in diesem Bereich geführt. Allerdings ist das Gehirn von Affen dem unsrigen sehr viel ähnlicher als das einer Maus. Affen sind uns zudem physiologisch und immunologisch sehr ähnlich. Beispielsweise sind die Transportvorgänge an der Blut-Hirn-Schranke zwischen Nager und Primat sehr unterschiedlich, so dass hier bestimmte Fragestellungen in einer Maus gar nicht untersucht werden können. Zudem unterscheiden sich die Konzentrationen einzelner Substanzen des Hirnstoffwechsels der Maus deutlich von dem eines Primaten.

Inwieweit sind die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?

Natürlich ist uns bewusst, dass die Affen uns nicht vollkommen, nicht zu 100 Prozent gleich sind. Allerdings sind sie unsere nächsten Verwandten. Man kann also sagen, dass bestimmte Mechanismen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit beim Menschen gleich oder sehr ähnlich funktionieren. Die Versuche mit Affen helfen uns, spätere Studien am Menschen effizienter und vor allem sicherer zu machen. Aber auch bei uns Menschen gibt es ja bekanntlich sehr große individuelle Unterschiede von Mensch zu Mensch, zum Beispiel bei der Verstoffwechselung von Substanzen und in den Nebenwirkungen von Medikamenten.

Warum kann man die Fragestellungen nicht am Patienten erforschen?

Es ist ethisch nicht vertretbar, Menschen ohne medizinische Notwendigkeit einer langen Narkose zu unterziehen, insbesondere nicht ältere Patienten, die ja ein besonders hohes Risiko der postoperativen kognitiven Beeinträchtigungen haben. Im schlimmsten Fall könnte ein Mensch, der vorher ein selbstbestimmtes Leben geführt hat, nach der Narkosestudie auf ein Pflegeheim angewiesen sein. Für eine MRT-Studie diejenigen Patienten zu gewinnen, die sich auf Grund einer Operation sowieso einer Narkose unterziehen müssen, ist leider auch keine Lösung, da zum Beispiel eine Hüftoperation nur schwerlich im MR-Scanner durchführbar ist. Andererseits müssen wir ja, um das Problem besser zu verstehen, während der Narkose mittels der MRT ins Gehirn schauen. Eine MR-Messung vor oder nach einer Operation würde die Dauer der Narkose verlängern, mit allen damit verbundenen Risiken für den Patienten. Ein weiterer Vorteil der Nutzung von Affen ist die Möglichkeit, die Versuchsbedingungen zu standardisieren. Das ist besonders wichtig, wenn wir zugrundeliegende Mechanismen verstehen wollen. Bei Patienten sind die jeweiligen Begleitumstände sehr heterogen. Die individuelle Krankheitsgeschichte spielt eine Rolle. Die Operationen dauern unterschiedlich lange. Auch können die vielen, beim älteren Menschen oft erforderlichen zusätzlichen Medikamente einen Einfluss haben.

Welcher Belastung sind die Tiere vor, während und nach dem Versuch ausgesetzt?

Der Versuch ist als gering belastend eingestuft. Die eigentliche Belastung ist die Narkose, die durch eine Injektion eingeleitet wird. Während der Narkose werden die Tiere die ganze Zeit überwacht. Der unangenehmste Teil des Versuchs für die Tiere ist das Aufwachen aus der Narkose, da sie, wie wir Menschen auch, eine Zeit lang brauchen, um zu sich zu kommen.

Was passiert mit den Javaneraffen nach Ablauf des Versuchs?

Nach der Narkose werden die Tiere in einen Aufwachbereich verbracht, wo sie in Hörweite und mit Sichtkontakt zu ihrer Gruppe unter einer wärmenden Rotlichtlampe langsam zu sich kommen. Zunächst werden sie mit Honigtee versorgt, später gibt es etwas Früchte, gekochte Kartoffel und Gurke. Sehr beliebt sind natürlich auch Bananen. Wenn die Nachwirkungen der Narkose abgeklungen sind, gehen die Tiere wieder zurück in ihre Gruppe und leben normal weiter. Auch nach Ablauf der Narkoseversuche sollen die Affen so lange in unserer Haltung weiterleben bis sie ihr natürliches Ende erreicht haben. Viele von ihnen werden mich also hoffentlich noch bis zu meiner Rente begleiten.

Wie wird sichergestellt, dass die Tiere so wenig wie möglich leiden?

Wir haben hier ein sehr erfahrenes Team aus Tierpflegern und Tierärzten, die täglich nach den Tieren sehen und schnell eingreifen, falls es einem Tier schlecht geht. Die Tiere werden sehr sorgfältig beobachtet und alle Auffälligkeiten werden dokumentiert. Durch die engmaschige Überwachung können eventuelle Schmerzen oder andere Leidenszustände schon im Anfangsstadium erkannt werden, so dass wir, wenn nötig, frühzeitig tierärztlich helfen können. Im MRT werden die physiologischen Parameter der Tiere kontinuierlich überwacht und der Versuch sofort beendet, wenn sich der Zustand der Tiere unerwartet verschlechtert.

Wie gehen Sie persönlich damit um, dass Sie Tierversuche machen?

Jeder Tierversuch ist ein Abwägen zwischen dem potentiellen Nutzen für den Menschen, den damit verbundenen Erkenntnisgewinn und der Belastung, den potentiellen Risiken für das Tier. Diese ethische Abwägung ist fester Bestandteil jeder Tierversuchsplanung in Europa. Und diese Abwägung ist auch für mich persönlich enorm wichtig. Ich mache sie vor dem Beginn einer Studie und auch während des Versuches für mich immer wieder neu. Ich kann Experimente mit Tieren nur dann vor mir rechtfertigen, wenn diese Abwägung für mich so ausfällt, dass der Mehrwert des Experiments das mögliche Leiden des Tieres deutlich aufwiegt. Bei den Tierversuchen, die wir hier durchführen, sind die Tiere nur geringen Belastungen ausgesetzt. Unter diesen Umständen kann ich Tierversuche gut vertreten.

Wann ist mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse zu rechnen?

Die Ergebnisse der ersten Versuchsreihe sollen voraussichtlich im Sommer 2018 veröffentlicht werden.