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Koevolution von sozialen und kommunikativen Fähigkeiten

Je komplexer die Sozialgruppe bei Lemuren ist, desto mehr Signale nutzen die Tiere zur Verständigung
Je komplexer das Sozialsystem bei Lemuren ist, desto mehr Signale nutzen die Tiere zur Verständigung. Foto: Chris Schloegl
Larven-Sifakas im Kirindy-Wald in Madagaskar auf Futtersuche. Je komplexer das Sozialsystem bei Lemuren ist, desto mehr Signale nutzen die Tiere zur Verständigung. Foto: Claudia Fichtel
Larven-Sifakas im Kirindy-Wald in Madagaskar auf Futtersuche. Je komplexer das Sozialsystem bei Lemuren ist, desto mehr Signale nutzen die Tiere zur Verständigung. Foto: Claudia Fichtel
Männlicher Larvensifaka (Propithecus Verreauxi) äußert einen Laut im Kirindy Wald auf Madagaskar. Foto: Louise Peckre
Männlicher Larvensifaka (Propithecus Verreauxi) äußert einen Laut im Kirindy Wald auf Madagaskar. Foto: Louise Peckre

Das Zusammenleben in Gruppen erfordert ständige Interaktionen zwischen den Individuen. Einzelne müssen das Verhalten der Anderen einschätzen und flexibel darauf reagieren können. Primaten und andere Tierarten regulieren und koordinieren ihre Interaktionen überwiegend mittels akustischer, visueller, taktiler und  geruchlicher Signale. Unklar ist, welche sozialen oder ökologischen Faktoren die Anzahl und Entwicklung der verschiedenen Signalmodalitäten beeinflusst haben. Eine Annahme ist, dass bei paar- oder gruppenlebenden Arten komplexere Signale evolviert sind, um deren vielfältigeren sozialen Interaktionen zu regulieren. Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, haben Claudia Fichtel und Peter Kappeler, Forschende der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung untersucht, welche Faktoren den Umfang des vokalen, visuellen und geruchlichen (olkfaktorischen) Signalrepertoires verschiedener Lemurenarten erklären können. Fichtel und Kappeler konnten zeigen, dass Lemuren, die in größeren Gruppen mit entsprechend komplexeren Sozialsystemen leben, auch komplexere Kommunikationssysteme in allen drei Signalmodalitäten aufweisen. Der Umfang des Signalrepertoires ließ sich weder auf bestimmte Umweltfaktoren zurückführen, noch ging er mit Körpergröße oder Gehirngröße einher (Philosophical Transactions B).

Um Interaktionen zu regulieren und zu koordinieren müssen Tiere untereinander kommunizieren. Die Lemurenarten auf Madagaskar verfügen über ein umfangreiches Kommunikationsrepertoire und zeigen die wichtigsten Formen sozialer Organisation: Sie leben entweder einzeln, paarweise oder in Gruppen. Zudem variieren die Aktivitätsmuster der mehr als 120 bekannten Arten. Es gibt tagaktive, und nachtaktive Arten, aber auch Arten, die tag- und nachtaktiv sind. „Da sich Lemuren mehr als 50 Millionen Jahre lang isoliert von anderen Primaten entwickelt haben, bieten sie eine hervorragende Möglichkeit, grundlegende Prinzipien in der Koevolution sozialer und kommunikativer Merkmale zu identifizieren“, erklärt Peter Kappeler. 

Das vokale Repertoire der Lemuren ist ähnlich umfangreich wie das anderer Affenarten. Auch Lemuren verwenden Laute, um ihren Dominanzstatus zu signalisieren, Konflikte zu lösen, ihren emotionalen Zustand zu äußern, den Gruppenzusammenhalt aufrecht zu erhalten oder Territorien zu verteidigen. Zudem ist bei Lemuren die olfaktorische Kommunikation stark ausgeprägt. Lemuren haben spezialisierte Drüsen an ihren Genitalien, auf der Brust, an den Händen oder am Kopf. Die dort produzierten Sekrete werden auf Bäume, aber auch auf Artgenossen verteilt. Auch mit Gesten oder mimischen Ausdrücken werden soziale Beziehungen reguliert.  Da zum Beispiel soziale Unterwerfung bei Rangauseinandersetzungen bei einigen Arten durch visuelle, bei anderen Arten aber durch  vokale Signale angezeigt wird, ist es wichtig, den Umfang des Signalrepertoires in allen Modalitäten zu untersuchen. Nur so lässt sich herausfinden, ob zunehmende soziale Komplexität die Evolution von kommunikativer Komplexität begünstigt hat. Die Untersuchung zeigt, dass Lemurenarten, die in größeren Gruppen leben, auch mehr vokale, visuelle und olfaktorische Signale entwickelt haben. Daraus schließen die Forschenden, dass sich parallel zur zunehmenden sozialen Komplexität auch kommunikative Fähigkeiten diversifiziert haben. Zudem  konnten Fichtel und Kappeler zeigen, dass sich vermutlich im Laufe der Evolution zunächst soziale Komplexität und erst danach kommunikative Komplexität entwickelt hat. Variation in anderen Faktoren, wie die Eigenschaften es Lebensraums, Aktivitätsmuster oder die Zahl gleichzeitig im selben Lebensraum vorkommender Lemurenarten erklären die Entwicklung umfangreicherer Repertoires dagegen nicht. Ebenso gab es weder einen Zusammenhang zwischen der vokalen und visuellen Repertoiregröße und der Größe des Gehirns, noch zwischen der Anzahl von Duftdrüsen oder Duftsignalen und der Körpergröße der Lemurenart.

„Unsere Studie zeigt, dass die Komplexität der Kommunikation im vokalen, olkfaktorischen und visuellen Bereich bei Lemuren mit der Komplexität des Sozialsystems koevolviert ist, nicht aber mit sozio-ökologischen Faktoren wie der Art des Lebensraums oder der Anzahl anderer Arten im selben Verbreitungsgebiet“, schließt Claudia Fichtel.

Originalpublikation

Fichtel C, Kappeler PM. 2022. Coevolution of social and communicative complexity in lemurs. Phil. Trans. R. Soc. B 377: 20210297. https://doi.org/10.1098/rstb.2021.0297