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Mit Licht gegen Taubheit

Forscher der Universitätsmedizin Göttingen und des DPZ lassen taube Wüstenrennmäuse mittels Lichtstimulation wieder hören
Vergrößertes, 3D-gedrucktes Modell der Maus-Cochlea, basierend auf Röntgentomographiedaten. Foto: Daniel Keppeler
Funktionsweise des elektrischen und des optischen Cochlea-Implantats im Vergleich. Abbildung: Institut für Auditorische Neurowissenschaften, UMG
Funktionsweise des Cochlea-Implantats im Vergleich. Oben: elektrisches Implantat in der Hörschnecke mit 12 Elektrodenkontakten, von denen sich der Strom weit ausbreitet. Unten: zukünftiges optisches Implantat mit dutzenden Mikroleuchtdioden, deren Licht fokussiert auf Nervenzellen in Hörschnecke gerichtet wird. Abbildung: Institut für Auditorische Neurowissenschaften, UMG
Dr. Marcus Jeschke, Leiter der Nachwuchsgruppe Cognitive Hearing in Primates am DPZ. Foto: Karin Tilch
Dr. Marcus Jeschke, Leiter der Nachwuchsgruppe Cognitive Hearing in Primates am DPZ. Foto: Karin Tilch
Dr. Christian Wrobel, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsmedizin Göttingen. Foto: privat
Dr. Christian Wrobel, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsmedizin Göttingen. Foto: privat
Prof. Tobias Moser, Leiter des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Göttingen und der Forschungsgruppe Auditorische Neurowissenschaften und Optogenetik am DPZ. Foto: Irene Böttcher-Gajewski
Prof. Tobias Moser, Leiter des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Göttingen und der Forschungsgruppe Auditorische Neurowissenschaften und Optogenetik am DPZ. Foto: Irene Böttcher-Gajewski
Zwei Wüstenrennmäuse (Meriones unguiculatus). Foto: Baldur123 [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], Wikimedia Commons
Zwei Wüstenrennmäuse (Meriones unguiculatus). Foto: Baldur123 [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], Wikimedia Commons

In einer gestern veröffentlichten Studie haben die Wissenschaftler um Tobias Moser, Leiter des Institutes für Auditorische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Göttingen sowie der Forschungsgruppe Auditorische Neurowissenschaften und Optogenetik am DPZ, erfolgreich die Wiederherstellung des Gehörs mittels Lichtstimulation getestet. Durch Einbringen eines lichtsensitiven Proteins in die Nervenzellen des Innenohrs tauber Wüstenrennmäuse, konnten diese anschließend wieder hören. Durch elektrophysiologische Messungen konnten die Wissenschaftler lichtinduzierte Nervenzellaktivität an verschiedenen Stationen der Hörbahn vom Innenohr bis zum Gehirn nachweisen. Gleichzeitig durchgeführte Verhaltensstudien zeigten ebenfalls Reaktionen der Mäuse auf Lichtsignale. Die Ergebnisse zeigen, dass gehörlose Tiere mittels Lichtstimulation wieder hören können und versprechen neue Ansätze bei der Wiederherstellung des Gehörs bei Patienten mit Hörbehinderung (Science Translational Medicine).

Hören ist ein spannender Prozess. Das Ohr nimmt Schallwellen aus der Umgebung auf und wandelt sie in elektrische Signale um. Diese werden dann über den Hörnerv zum Gehirn geleitet und dort interpretiert. Der Hörsinn ist ein essentieller Bestandteil unserer Wahrnehmung. Er bietet Orientierung in unserer Umwelt und hilft uns, auf akustische Signale entsprechend zu reagieren. Vor allem das Verständnis von Sprache ermöglicht Menschen wechselseitige Kommunikation und damit ein aktives Teilhaben an der Gesellschaft.

Eine Hörminderung oder gar Taubheit bedeuten für viele Betroffene enorme Einschränkungen ihrer Lebensqualität. Sehr häufig wird Gehörlosigkeit durch den Verlust winziger Haarzellen in der Hörschnecke, der Cochlea, ausgelöst. Diese Zellen arbeiten daran, die Geräusche, die wir hören, in elektrische Signale umzusetzen. Eine einmal verloren gegangene Haarzelle kann nicht mehr ersetzt werden. Bei Verlust einer großen Anzahl dieser Zellen, können elektrische Cochlea-Implantate direkt in die Hörschnecke eingesetzt werden. Diese umgehen die Haarzellen und stimulieren den Hörnerv direkt. Sie können das Gehör jedoch nur zu einem gewissen Grad wiederherstellen. Feinste Tonhöhen zu unterscheiden, wie es mit unserem natürlichen Gehör gelingt, bleiben den Implantatträgern verwehrt. Das macht sich vor allem beim Hören von Musik bemerkbar. Betroffene haben aber auch Schwierigkeiten, Sprache mit Hintergrundlärm zu verstehen oder beispielsweise Ironie aus einem Satz herauszuhören, da diese feinen Nuancen häufig nur durch kleinste Veränderungen in der Stimmlage zu erfassen sind.

Besser Hören mit optischen Cochlea-Implantaten

Ursache der Probleme mit elektrischen Cochlea-Implantaten ist die unzureichende Frequenz- und Intensitätsauflösung. Nur rund zehn unabhängige Frequenzkanäle können damit unterschieden werden. „Das ist, als würde man bei einem Klavier mehrere Tasten gleichzeitig anschlagen“, sagt Tobias Moser. Gemeinsam mit seinem Team forscht er an der Entwicklung optischer Cochlea-Implantate. „Um ein besseres Hörvermögen zu erreichen, müssen einzelne Frequenzen besser unterschieden werden“, erklärt er. „Bei optischen Cochlea-Implantaten werden die Nervenzellen in der Hörschnecke im Innenohr durch Licht stimuliert, welches besser fokussiert werden kann als elektrischer Strom“. Der Hörnerv ist jedoch nicht lichtempfindlich. Um eine optische Stimulation zu erreichen, müssen also funktionelle, genetisch kodierte Lichtschalter in die Neuronen des Hörnervs eingebracht werden. Dieser Ansatz wird als optogenetische Kontrolle bezeichnet und wurde bisher nur bei Tieren erreicht, die vor oder kurz nach der Geburt manipuliert wurden.

Taube Wüstenrennmäuse hören durch Lichtstimulation

Die Forscher haben nun einen großen Schritt in Richtung einer möglichen klinischen Umsetzung beim Menschen gemacht. Im Rahmen der Studie, die an der Universitätsmedizin Göttingen durchgeführt wurde, haben sie neue Techniken entwickelt, um den Hörnerv der Wüstenrennmäuse durch den Einbau optogenetischer Lichtschalter zu manipulieren. Als Genfähren nutzten sie einfache nicht krank machende Viren, die sie per Injektion in die Cochlea der Mäuse einbrachten. Um nachzuweisen, dass die Lichtschalter funktionierten, führten sie Aufnahmen von Stationen entlang der Hörbahn bis zur Hörrinde im Gehirn durch und konnten zeigen, dass die Stimulation mit Licht einzelne Nervenzellen erfolgreich aktiviert. Außerdem wurde getestet, ob die Manipulationen auch bei tauben Tieren erfolgreich sind, denen die Haarsinneszellen fehlen. Zu diesem Zweck implantierten die Autoren gehörlosen Tieren ein einfaches optisches Cochlea-Implantat und stimulierten die Cochlea mit Licht. Dabei konnte gezeigt werden, dass Tiere mit optogenetisch manipulierten Hörnerven die Lichtstimulation tatsächlich zur Lösung von Verhaltensaufgaben nutzen können. „Zusammengenommen sorgen diese Ergebnisse erstmals dafür, dass gehörlose Tiere mit optogenetischer Stimulation wieder hören können“, sagt Christian Wrobel, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Kunde an der Universitätsmedizin Göttingen und Erstautor der Studie. „Für viele Patienten auf der ganzen Welt, die nach besseren Behandlungsmöglichkeiten suchen, sind dies wichtige Ergebnisse.“

Weitere Studien geplant

Bevor die optischen Implantate in klinischen Studien an Patienten getestet werden können, müssen jedoch noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden. „Wir wollen im Detail verstehen, wie die optogenetische Stimulation das Gehirn im Vergleich zum normalen Hören aktiviert“, sagt Marcus Jeschke, Leiter der Nachwuchsgruppe Cognitive Hearing in Primates am DPZ und einer der korrespondierenden Autoren der Studie. „Wenn wir die Ähnlichkeiten und Unterschiede verstehen, können wir beginnen, Strategien zu entwickeln, um das Hören mit künstlicher Stimulation dem normalen Hören ähnlich zu machen. Das wiederum ermöglicht den Patienten einen viel natürlicheren Höreindruck.“ Darüber hinaus müsse die Methode der optogenetischen Cochlea-Stimulation im nächsten Schritt in Primaten untersucht werden, die den Menschen ähnlicher seien als Nager, so Jeschke weiter. Weißbüschelaffen hätten eine halb so große Cochlea wie der Mensch, außerdem besäßen sie ein ähnliches Nerven- und Immunsystem. „Wenn diese Versuche erfolgreich sind, haben wir große Hoffnung, das optische Cochlea-Implantate künftig auch bei Menschen funktionieren“, sagt Marcus Jeschke.

Originalpublikation

Wrobel C, Dieter A, Huet A, Keppeler D, Duque-Afonso CJ, Vogl C, Hoch G, Jeschke M, Moser T (2018): Optogenetic stimulation of cochlear neurons activates the auditory pathway and restores auditory-driven behavior in deaf adult gerbils. Science Translational Medicine 10(449), DOI: 10.1126/scitranslmed.aao0540