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Auch Affen lernen zu kommunizieren

Verhaltensstudie an Weißbüschelaffen liefert neue Erkenntnisse zur Evolution von Sprache
Weißbüschelaffen in der Tierhaltung am Deutschen Primatenzentrum. Foto: Manfred Eberle
Dr. Yasemin Gültekin, Wissenschaftlerin in der Abteilung Funktionelle Bildgebung am Deutschen Primatenzentrum. Foto: Karin Tilch
Dr. Yasemin Gültekin, Wissenschaftlerin in der Abteilung Funktionelle Bildgebung am Deutschen Primatenzentrum. Foto: Karin Tilch

Sprache zeichnet uns Menschen aus, wir lernen sie durch Erfahrung und soziale Interaktionen. Insbesondere im ersten Lebensjahr verändern sich menschliche Lautäußerungen dramatisch, sie werden immer sprachähnlicher. Bei unseren nächsten Verwandten, den nicht-menschlichen Primaten, wurde bislang angenommen, dass die Sprachentwicklung weitgehend vorherbestimmt und innerhalb der ersten Wochen nach der Geburt abgeschlossen ist. In einer jetzt veröffentlichten Verhaltensstudie konnten Forschende der Universität Tübingen, der Rockefeller Universität New York und des Deutschen Primatenzentrums zeigen, dass auch die kindliche Entwicklung der Lautäußerungen von Weißbüschelaffen eine verlängerte flexible Phase beinhaltet, ohne die die Sprachentwicklung beim Menschen nicht möglich wäre. Der Weißbüschelaffe ist daher ein geeignetes Tiermodell, um die Evolution frühkindlicher Sprachentwicklung besser zu verstehen (Science Advances).

Die menschliche Sprache verändert sich im ersten Jahr nach der Geburt deutlich. Sie entwickelt sich von präverbalen, noch nicht sprachähnlichen Rufen wie Lachen oder Schreien über vorsprachliche Vokalisationen bis hin zu einer Babbel-Phase, in der die Äußerungen immer sprachähnlicher und komplexer werden. Hierbei werden mehrere Faktoren als besonders kritisch für die Stimmentwicklung angesehen, darunter Reifung, Lernen und frühe soziale Interaktionen mit den Eltern.

Demgegenüber ging man jahrzehntelang davon aus, dass sich die Lautgebung bei Affen ausschließlich als Ergebnis körperlichen Wachstums und Reifung entwickelt und sie unabhängig ist von Lernprozessen oder äußeren Faktoren wie sozialer Interaktion. So zeigten frühere Studien, dass Taubheit oder soziale Isolation durch die Abwesenheit der Eltern wenig oder keinen Einfluss auf die Stimmentwicklung von nicht-menschlichen Primaten hat und dass die Stimmentwicklung bei den meisten Affenarten innerhalb weniger Wochen nach der Geburt abgeschlossen ist und diese Tiere daher bereits im Jugendstadium mit dem erwachsenen Stimmrepertoire ausgestattet zu sein scheinen. „Einer der Gründe für diese Ergebnisse liegt wohl darin begründet, dass sich die bisherigen Arbeiten zur Stimmentwicklung bei nichtmenschlichen Primaten hauptsächlich auf die ersten Wochen nach der Geburt konzentrierten und mögliche Veränderungen, die mit dem späteren Wachstum in den darauffolgenden Monaten bis zum Erwachsenenalter einhergehen, ignorierten“, sagt Yasemin Gültekin, Erstautorin der Studie und Wissenschaftlerin am Deutschen Primatenzentrum.

Ein Team um Yasemin Gültekin und Steffen Hage vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung, der Universität Tübingen und der Rockefeller Universität University New York hat die Lautentwicklung von Weißbüschelaffen, einer sozialen Primatenart, vom frühen Säuglingsalter bis zur Geschlechtsreife im Alter von 15 Monaten engmaschig untersucht. Während dieses Zeitraums wurde jeden Monat das Vokalisationsverhalten der an der Rockefeller Universität gehaltenen Tiere mit Mikrofonen aufgenommen. Insgesamt wurden so fast 150.000 Lautäußerungen von sechs Weißbüschelaffen aufgezeichnet und analysiert. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich das Vokalisationsverhalten von Weißbüschelaffen, ähnlich wie in den ersten Lebensmonaten des Menschen, durch verschiedene Entwicklungsstadien von den ersten Wochen nach der Geburt bis zum Erwachsenenalter verändert“, sagt Kurt Hammerschmidt, der am Deutschen Primatenzentrum die Daten der Studie ausgewertet hat.

Das Team stellte fest, dass alle artspezifischen Vokalisationstypen bereits im ersten Monat nach der Geburt vorhanden waren und dass deren entwicklungsbedingte Veränderungen in der akustischen Struktur sich weitgehend durch die körperliche Reifung erklären lassen. Diese Ergebnisse sind in Übereinstimmung mit früheren Arbeiten, die darauf hindeuteten, dass die akustische Struktur der Vokalisationen angeboren ist und kein Lernen durch auditives oder soziales Feedback erfordert. „Während Veränderungen in der akustischen Struktur hauptsächlich durch physisches Wachstum oder Reifung erklärt werden konnten, fanden wir jedoch heraus, dass die Art und Weise, wie diese Vokalisationen im Laufe der Entwicklung flexibel genutzt werden, auf erfahrungsbasierte Lernmechanismen hindeuten, die eines der Schlüsselmerkmale bei der menschlichen Sprachentwicklung sind“, sagt Erstautorin Yasemin Gültekin.

„Unsere Arbeit liefert einen wichtigen Baustein, um die evolutionären Grundlagen der frühkindlichen Sprachentwicklung des Menschen besser zu verstehen. Sie schafft die Voraussetzung für zukünftige Studien darüber, wie soziale Interaktionen die Sprachentwicklung beeinflussen können“, fasst Yasemin Gültekin zusammen.

 

Originalpublikation:

Yasemin B. Gultekin, David G. C. Hildebrand, Kurt Hammerschmidt, Steffen R. Hage (2021). High plasticity in marmoset monkey vocal development from infancy to adulthood. Science Advances 7: eabf2938.