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Viele Primatenarten nach wie vor vom Aussterben bedroht

Wissenschaftlich basierte Schutzmaßnahmen sind notwendig
Madame Berthes Mausmaki (Microcebus berthae), der kleinste lebende Primat der Welt, wurde 1993 von DPZ-Forschern in Westmadagaskar entdeckt. Foto: Manfred Eberle
Der in Vietnam beheimatete Delacour-Langur (Trachypithecus delacouri) gehört zu den 25 am stärksten bedrohten Primaten der Welt 2012. Foto: Tilo Nadler
Der in Vietnam beheimatete Delacour-Langur (Trachypithecus delacouri) gehört zu den 25 am stärksten bedrohten Primaten der Welt 2012. Foto: Tilo Nadler

Weniger als ein Prozent der wissenschaftlichen Literatur über Primaten bewertet die Wirksamkeit von Maßnahmen zu ihrem Schutz. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie aus 21 Ländern unter Leitung des Deutschen Zentrums für Integrative Biodiversitätsforschung, des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie sowie der Universität Cambridge, an der auch Forschende des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) in Göttingen beteiligt waren. Trotz großer Schutzbemühungen, greifen diese nur unzureichend, was zu einem dramatischen Rückgang der Populationen von Primaten führt. Die in der Zeitschrift BioScience veröffentlichte Studie stellt mehrere Maßnahmen vor, um den Schutz von Primaten auf eine bessere wissenschaftliche Basis zu stellen.

Primaten sind aufgrund ihrer anthropologischen Bedeutung und ihres Charismas sehr beliebte Forschungsobjekte und Maßnahmen zu ihrem Schutz sind in der Regel verhältnismäßig gut finanziell ausgestattet. Dennoch greifen die Erhaltungsmaßnahmen nur unzureichend. Etwa 60 Prozent der Primatenarten sind heute vom Aussterben bedroht, 75 Prozent haben rückläufige Populationen.

Die Autoren der Studie führen diesen Widerspruch auf weitgehend fehlende Nachweise für erfolgreiche Erhaltungsmaßnahmen für Primaten zurück. Das 59-köpfige Team der Conservation Evidence Initiative in Cambridge wertete rund 13.000 Primatenstudien aus. Nur 80 davon untersuchten die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Erhaltung von Primaten, was im Vergleich zu anderen Artengruppen sehr wenig ist. Darüber hinaus wurden nur 12 Prozent der bedrohten Primaten und nur 14 Prozent aller heute bekannten Primatenarten von diesen Wirksamkeitsstudien erfasst.

Innerhalb der Primaten ist die Situation der Lemuren Madagaskars besonders dramatisch. Von insgesamt 107 Lemurenarten sind 103 „bedroht“ oder „kritisch bedroht“. Damit sind sie die am stärksten vom Aussterben bedrohte Säugetiergruppe. „Zwei der kritisch bedrohten Lemurenarten, Madame Berthae’s Mausmakis und Verreaux’s Sifakas, werden durch die Forschungsaktivitäten an der DPZ-Feldstation im Kirindy-Wald erforscht und geschützt. So leistet das DPZ einen nachhaltigen Beitrag zum Schutz dieser besonders bedrohten Arten“, sagt Peter Kappeler, Leiter der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am DPZ. Doch trotz der überwiegend schlechten Nachrichten, gibt es auch Positives zu berichten. Christian Roos, Wissenschaftler in der Abteilung Primatengenetik, erklärt: „Durch Einbindung der lokalen Bevölkerung und intensive Forschungsarbeiten konnte der Schutz von Delacour-Languren im Van Long Schutzgebiet in Vietnam deutlich verbessert werden. Die Population hat sich in nur 15 Jahren auf nun mehr über 160 Tiere verdoppelt.“

Um den Bestand von Primaten künftig zu sichern, sind verschiedene Maßnahmen notwendig, beispielsweise eine bessere finanzielle Unterstützung von Wirksamkeitsstudien, die Entwicklung von wissenschaftsbasierten Richtlinien für Maßnahmen zur Erhaltung der Primaten, die Verlagerung des Forschungsschwerpunkts auf bedrohte Arten und wenig untersuchte Regionen und die Suche nach langfristigen Kooperationen mit Interessenvertretern. „So wie zumindest einige Teile der Politik während der Corona-Pandemie gelernt haben, bei Entscheidungen auf die Wissenschaft zu hören, ist es auch für wirksamen und nachhaltigen Natur- und Artenschutz absolut notwendig, dass wissenschaftliche Erkenntnisse ernst genommen werden und Vorrang vor vermeintlichen ökonomischen Zwängen bekommen. Allerdings bedarf es hierfür auch einer Intensivierung der entsprechenden Forschung in diesem Bereich“, betont Eckhard W. Heymann, Wissenschaftler in der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am DPZ.

Originalveröffentlichung:

J. Junker, S. O. Petrovan, V. Arroyo-Rodríguez, R. Boonratana, D. Byler, C. A. Chapman, D. Chetry, S. M. Cheyne, F. M. Cornejo, L. Cortés-Ortiz, G. Cowlishaw, A.P. Christie, C. Crockford, S. de la Torre, F. R. de Melo, P. Fan, C. C. Grueter, D. C. Guzmán-Caro, E. W. Heymann, I. Herbinger, M. D. Hoang, R. H. Horwich, T. Humle, R. A. Ikemeh, I. S. Imong, L. Jerusalinsky, S. E. Johnson, P. M. Kappeler, M. C. M. Kierulff, I. Koné, R. Kormos, K. Q. Le, B. G. Li, A. J. Marshall, E. Meijaard, R. A. Mittermeier, Y. Muroyama, E. Neugebauer, L. Orth, E. Palacios, S. K. Papworth, A. J. Plumptre, B. M. Rawson, J. Refisch, J. Ratsimbazafy, C. Roos, J. M. Setchell, R. K. Smith, T. Sop, C. Schwitzer, K. Slater, S. C. Strum, W. J. Sutherland, M. Talebi, J. Wallis, S. Wich, E. A. Williamson, R. M. Wittig, H. S. Kühl (2020). Severe Lack of Evidence Limits Effective Conservation of the World’s Primates. BioScience. DOI: 10.1093/biosci/biaa082