Astrozyten scheinen eine bedeutendere Rolle in der Evolution des Gehirns zu spielen als bisher angenommen. Ein Forschenden-Team um Aleksandra Pękowska vom Nencki Institute of Experimental Biology in Warschau hat neue Gene und Mechanismen entdeckt, die zu diesem Prozess beitragen. Die Studie, an der auch Rüdiger Behr von Deutschen Primatenzentrum beteiligt war, wurde in der Zeitschrift Cell Stem Cell veröffentlicht.
Astrozyten sind sternförmige Zellen im Hirngewebe, die keine elektrischen Signale leiten, aber das Gehirn unterstützen. Sie regulieren das Milieu, versorgen Neuronen mit Nährstoffen und beeinflussen Synapsen. „Man kann sie als die Wächter des Gehirns bezeichnen. Es gibt praktisch keine neurologische Erkrankung, die nicht mit Störungen der Astrozytenbiologie einhergeht“, sagt Aleksandra Pękowska, die Hauptautorin der Studie.
Frühere Studien zeigten, dass menschliche Astrozyten größer und komplexer sind als die von Mäusen und Affen. Dies deutet auf mögliche evolutionäre Veränderungen der Astrozytenfunktion hin. Frühere Arbeiten waren zwar aufschlussreich, aber in erster Linie beschreibend und konzentrierten sich auf Astrozyten von erwachsenen Individuen. Die fetale Periode des menschlichen Lebens ist jedoch nicht nur eine kritische Zeit für die Entwicklung des Gehirns, sondern prägt auch die zukünftigen Gehirnfunktionen. Viele Gene, von denen bekannt ist, dass sie sich auf die Kognition auswirken, sind bereits oder ausschließlich in diesem Stadium aktiv.
„Man kann Astrozyten als die Wächter des Gehirns bezeichnen. Es gibt praktisch keine neurologische Erkrankung, die mit Störungen der Astrozytenbiologie einhergeht.“
Bei ihren Untersuchungen konzentrierten sich die Wissenschaftler*innen deshalb auf fetale Astrozyten. Diese Zellen gewannen sie aus induzierten pluripotenten Stammzellen. Mit Hilfe der Transkriptomik entdeckten sie, dass ein sehr hoher Prozentsatz von Genen, die in menschlichen Astrozyten aktiver sind als in Schimpansen- oder Makaken-Astrozyten, an der Bildung von extrazellulären Vesikeln (EV) beteiligt sind. EVs sind mikroskopische biologische Strukturen, die von lebenden Zellen in den extrazellulären Raum abgegeben werden und in allen Körperflüssigkeiten vorhanden sind. EVs dienen der Kommunikation zwischen Zellen und können eine Vielzahl von Molekülen wie Proteine, Lipide, DNA oder RNA enthalten. Sie scheinen für die richtige Entwicklung von Neuronen unerlässlich zu sein.
Da die Wirkung von EVs auf Astrozyten nur unzureichend erforscht ist, wollten die Forschenden testen, wie Vesikel, die von menschlichen Astrozyten abgesondert werden, Makakenzellen beeinflussen. „Es zeigte sich, dass die Affenzellen unter dem Einfluss der menschlichen EVs größer und komplexer wurden“, sagt Rüdiger Behr, Leiter der Forschungsplattform Stammzell- und Regenerationsbiologie am DPZ. „Das bedeutet, dass die Partikel einige Informationen übertragen haben, die möglicherweise zur Entwicklung der Morphologie der Astrozyten beitragen. Der Mechanismus, der diesem Phänomen zugrunde liegt, ist jedoch noch unklar.“
Die Studie ergab auch, dass Gene, die mit mentaler Retardierung oder neurologischen Erkrankungen in Verbindung stehen, in menschlichen Astrozyten im Vergleich zu den Zellen aus Affen häufig weniger stark exprimiert werden. Durch das Ausschalten der krankheitsbezogenen Gene erhält unser Gehirn zusätzliche Funktionen. „Die Herrunterregulierung dieser Gene im Menschen relativ zu Schimpansen und Makaken scheint also für die menschliche Gehirnentwicklung förderlich gewesen zu sein “, sagt Pękowska.
In Zusammenarbeit mit Bartosz Wilczyński von der Universität Warschau kombinierte das Team Molekularbiologie und Computerwerkzeuge einschließlich künstlicher Intelligenz, um zu untersuchen, wie die genetischen Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen mit den Veränderungen der Genexpression zwischen unseren beiden Arten zusammenhängen. Sie fanden heraus, dass die evolutionäre Genaktivierung mit genau definierten Veränderungen in der DNA-Sequenz verbunden ist.
„Die vergleichende Affe-Mensch-Studie zeigt interessante Unterschiede in der Hirnentwicklung und welche Schlüsselprozesse wir zukünftig betrachten müssen, um die Evolution des menschlichen Gehirns besser zu verstehen“, fasst Aleksandra Pękowska zusammen.
Die für die Studie verwendeten Astrozyten wurden aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen, so dass hierfür weitgehend auf den Einsatz von echtem Hirn-Gewebe verzichtet werden konnte. „Insofern ist die Studie auch ein schönes Beispiel für eine moderne Ersatzmethode zum Tierversuch und die Anwendung des ethischen 3R-Prinzips in der Grundlagenforschung.“, betont Rüdiger Behr abschließend.
Originalpublikation
Ciuba K. et al. (2025): Molecular signature of primate astrocytes reveals pathways and regulatory changes contributing to human brain evolution. Cell Stem Cell 32, 1-19, https://doi.org/10.1016/j.stem.2024.12.011