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Alleskönner-Zellen mit medizinischem Potenzial

Wissenschaftler am Deutschen Primatenzentrum gewinnen neue embryonale Stammzelllinien aus Weißbüschelaffen
Ein etwa 5 Tage alter Präimplantationsembryo des Weißbüschelaffen. Die Zellen des Embryos werden noch von einer äußeren Hülle, der Zona pellucida, umschlossen. Der Embryo ist mikroskopisch klein und hat einen Durchmesser von etwa 1/10 mm. Aus diesen Embryonalstadien werden embryonale Stammzellen gewonnen. Foto: Charis Drummer
Ein etwa 4 Tage alter Präimplantationsembryo des Weißbüschelaffen im so genannten Morula- oder Maulbeerkeim-Stadium. Foto: Edgar Vogt
Ein etwa 4 Tage alter Präimplantationsembryo des Weißbüschelaffen im so genannten Morula- oder Maulbeerkeim-Stadium (so benannt auf Grund der Ähnlichkeit des Embryos mit einer Maulbeere). Die einzelnen Zellen des Embryos sind noch gut erkennbar, und sie werden noch von einer äußeren Hülle, der Zona pellucida, umschlossen. In der Zona pellucida ist (zwischen 6 und 7 Uhr) noch der Kopf eines Spermiums erkennbar, das nicht zur Befruchtung gelangt ist. Der Embryo ist mikroskopisch klein und hat einen Durchmesser von etwa 1/10 mm. Aus diesen frühen Embryonalstadien wurden in der Studie zwei embryonale Stammzelllinien gewonnen. Foto: Edgar Vogt
Prof. Dr. Rüdiger Behr, Leiter der Forschungsplattform Degenerative Erkrankungen. Foto: Karin Tilch
Prof. Dr. Rüdiger Behr, Leiter der Forschungsplattform Degenerative Erkrankungen. Foto: Karin Tilch
Eine Kolonie embryonaler Stammzellen des Weißbüschelaffen in pluripotentem Zustand. Die Stammzellen werden auf Nährzellen kultiviert. Foto: Katharina Debowski
Eine Kolonie embryonaler Stammzellen des Weißbüschelaffen in pluripotentem Zustand. Die Stammzellen werden auf Nährzellen kultiviert. Foto: Katharina Debowski
Weißbüschelaffen in der Haltung des Deutschen Primatenzentrums. Foto: Manfred Eberle
Weißbüschelaffen in der Haltung des Deutschen Primatenzentrums. Foto: Manfred Eberle

Viele schwerwiegende menschliche Erkrankungen entstehen durch die Fehlfunktion oder Degeneration wichtiger Zellen im Körper. Parkinson beispielsweise, wird durch das Absterben Dopamin-produzierender Nervenzellen im Mittelhirn ausgelöst. Diabetes mellitus vom Typ 1 entsteht, weil Insulin-produzierende Zellen nicht ausreichend vorhanden sind. Eine Chance auf Heilung dieser Krankheiten könnten Zellersatztherapien mit embryonalen Stammzellen bieten. Diese Zellen sind pluripotent, da sie die Fähigkeit haben, sich zu allen Zellarten des Körpers zu entwickeln. Embryonale Stammzellen könnten daher in neuen Therapieansätzen als Ersatz für abgestorbene Zellen verwendet werden. Rüdiger Behr, Leiter der Forschungsplattform Degenerative Erkrankungen am Deutschen Primatenzentrum (DPZ), erforscht diese Alleskönner-Zellen an nicht-menschlichen Primaten. Gemeinsam mit seinem Forschungsteam hat er europaweit die ersten embryonalen Stammzelllinien aus Weißbüschelaffen hergestellt und deren Eigenschaften charakterisiert. Die neuen Zelllinien sind wichtige Werkzeuge in der Stammzellforschung, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Zellersatztherapien in vorklinischen Versuchen zu testen (Scientific Reports, 2016).

Die Herstellung menschlicher embryonaler Stammzellen ist in Deutschland durch das Deutsche Embryonenschutzgesetz verboten. Um jedoch zu überprüfen, ob Zellersatztherapien wirksam und sicher sein können, muss deren Funktionalität und Effizienz zuvor durch Grundlagenforschung und präklinische Studien getestet werden. Eine wichtige Alternative zur Forschung an menschlichen Stammzellen bietet die Arbeit mit Stammzellen von Affen, da sie dem Menschen physiologisch, anatomisch und genetisch ähnlich sind. Die ersten embryonalen Stammzellen aus Weißbüschelaffen wurden 1996 erzeugt. Viele dieser Zelllinien sind jedoch nicht mehr verfügbar. Lediglich aus einem Labor in Japan standen der Wissenschaft bislang noch einige Linien zur Verfügung.

Rüdiger Behr und seine Kollegen haben nun in ihrer Studie insgesamt vier neue embryonale Stammzelllinien aus natürlich befruchteten Eizellen von Weißbüschelaffen hergestellt. Besonders interessant war dabei, dass sie drei der Linien aus einem sehr frühen Entwicklungsstadium, der Morula, gewinnen konnten. Die vierte Linie stammte aus der Blastozyste, einem Entwicklungsstadium, das generell zur Generierung von Stammzellen eingesetzt wird.

„Wir haben alle vier Linien genau auf ihr Aussehen, Wachstumsverhalten und ihre genetischen Eigenschaften hin untersucht“, sagt Rüdiger Behr. „Alle Zelllinien entwickelten sich unter Kulturbedingungen gleich und zeigten die Fähigkeit zur Pluripotenz, konnten sich also in verschiedene Zelltypen ausdifferenzieren. Außerdem wiesen alle Linien nahezu gleiche Genexpressionsprofile auf.“

Ein Unterschied zeigte sich jedoch in der Anzahl der Chromosomen zweier, aus den frühen Morula-Stadien gewonnenen, Zelllinien: einige Chromosomen lagen in dreifacher Anzahl vor. Diese Trisomien spiegelten sich auch in der Genexpression der betreffenden Chromosomen wieder. Sie war bis zu 50 Prozent höher als bei zweifach vorliegenden Chromosomen.

„Mehrfache Chromosomen kommen bei menschlichen Embryos, die durch künstliche Befruchtung erzeugt werden, häufig vor“, sagt Rüdiger Behr. „Bis jetzt hat man diesen Umstand der In-Vitro-Manipulation zugeschrieben. Unsere Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass solche Trisomien in einzelnen Zellen des frühen Embryos möglicherweise eine natürliche Situation zu Beginn der Embryonalentwicklung darstellen und erst im späteren Verlauf durch embryoeigene Mechanismen korrigiert werden. Insofern könnte dieses Ergebnis zusätzlich für die Reproduktionsmedizin interessant werden.“

Die vier neuen Zelllinien stehen nun der weltweiten Gemeinschaft von Stammzellforschern für wissenschaftliche Studien zur Verfügung. Besonders in unserer alternden Gesellschaft sind Stammzelltherapien ein vielversprechender Ansatz, um degenerative Krankheiten zu heilen. „Wir hoffen mit unseren Zelllinien zum Fortschritt der biomedizinischen Stammzellforschung beizutragen“, fasst Rüdiger Behr zusammen. „Embryonale Stammzellen werden für präklinische Test von Zellersatzmethoden benötigt und sie werden für grundlegende zell- und entwicklungsbiologische Fragestellungen eingesetzt. Gerade wenn es um humanmedizinisch relevante Fragestellungen geht, die an Patienten selbst noch nicht getestet werden können, sind embryonale Stammzellen von nicht-menschlichen Primaten für die Forschung unverzichtbar.“

Originalpublikation

Debowski, K., Drummer, C., Lentes, J., Cors, M., Dressel, R., Linger, T., Salinas-Riester, G., Fuchs, S., Sasaki, E., Behr, R. (2016): The transcriptomes of novel marmoset monkey embryonic stem cell lines reflect distinct genomic features. Scientific Reports, www.nature.com/articles/srep29122