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Herzpflaster

Schematische Darstellung der Anwendung eines Herzpflasters. Abbildung: Bobbie Smith

Schematische Darstellung eines Herzpflasters. Abbildung: Bobbie Smith

Gebrochene Herzen reparieren - Geschichte eines Herzpflasters

Nach 25 Jahren intensiver Grundlagenforschung soll das Herzpflaster im Jahr 2021 erstmals in die klinische Testung. Eine Geschichte, die sich ohne Tierversuche und wissenschaftliche Kooperation nicht erzählen ließe.

Es gibt gute und schlechte Nachrichten. Die Gute: Unsere Lebenserwartung bei hoher Lebensqualität steigt weiter an. Die Schlechte: Chronische Erkrankungen des Herzens, und hier vor allem die Herzmuskelschwäche sind schon heute die Todesursache Nummer 1 in der Welt. Mit den aktuell verfügbaren Therapiemaßnahmen wird sich daran auch nichts ändern. Eher wird die Zahl der Patienten mit einer Herzmuskelschwäche weiter zunehmen. 2018 sind über 200.000 Menschen in Deutschland an Herzmuskelschwäche gestorben. Wäre es da nicht gut, Herzen wieder reparieren zu können?

Der Anfang: Herzmuskelzellen der Ratte

Prof. Dr. med. Wolfram-Hubertus Zimmermann. Foto: umg/hzg
Prof. Dr. med. Wolfram-Hubertus Zimmermann. Foto: umg/hzg

Diese Herausforderung treibt den Mediziner Prof. Wolfram-Hubertus Zimmermann an – und das seit mittlerweile über 25 Jahren. Es begann im Jahr 1995 mit seiner Promotion am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf. Noch weit von der eigentlichen Anwendung im Patienten entfernt, bekam Zimmermann die Aufgabe, künstliche Herzgewebe aus Herzmuskelzellen der Ratte für die Erforschung neuer Gentherapieverfahren zu entwickeln. Doch schon damals hatte Zimmermann die Idee der direkten Anwendung im Patienten mit Herzmuskelschwäche. Und so schließt sich ein Vierteljahrhundert später der Kreis: Wenn alles nach Plan verläuft, soll im ersten Quartal 2021 erstmals künstliches Herzgewebe aus Stammzellen als sogenanntes Herzpflaster in Patienten mit Herzmuskelschwäche erprobt werden. Doch auch in der Zwischenzeit ist einiges passiert.

“Dafür kann man die Menschen begeistern. Nicht für die Tierversuche, die macht niemand gern, aber für die dringend notwendige Entwicklung neuer Therapeutika und Diagnostika.“

Herzpflaster. Foto: umg / Zimmermann
Herzpflaster. Foto: umg / Zimmermann

Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, Zimmermann war gerade Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Thomas Eschenhagen, gelang der erste Meilenstein: Herzmuskelzellen der Ratte bildeten ein dreidimensionales Gewebe, welches spontan schlug – ganz wie es das gesunde Herz tut. Etwa zwei Wochen wurden die heute als „engineered heart muscle“ (EHM) bezeichneten Herzmuskelgewebe am Leben gehalten. Damit war der Beweis vollbracht, dass sich Herzmuskel im Labor herstellen lässt. Die Umsetzung dieses Verfahrens in ein klinisch anwendbares Konzept hat Zimmermann seither nicht losgelassen. Stammzellen als Quelle für Herzmuskelzellen mussten her.

Weg vorerst durch das Gesetz versperrt

Ende der 90er Jahre konnten erstmalig humane embryonale Stammzellen entwickelt und deren Eignung für die Herzmuskelgewebeherstellung von Zimmermann und Kooperationspartnern in Haifa (Israel) gezeigt werden. Dennoch blieb der Weg für eine klinische Anwendung in Deutschland per Gesetz versperrt. Gesellschaftlich und politisch vor dem Hintergrund des mit embryonalen Stammzellen assoziierten ethischen Dilemmas wurde der Ansatz über adulte Stammzellen favorisiert. Durch die Einführung sogenannter induzierter pluripotenter Stammzellen aus dem Menschen unter Umgehung embryonaler Stammzellen in 2007 wurde der Gordische Knoten auch für die Forschung von Zimmermann in Deutschland durchschlagen. Im Jahr 2012 wurde der Entdecker dieser Stammzelltechnologie, Shinya Yamanaka, mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Zugleich öffnete sich so die Tür für eine Umsetzung des von Zimmermann und Kollegen entwickelten Herzpflasteransatzes in die Klinik.

Entwicklung des Herzpflasters im Überblick

1995: Erste Herstellung von künstlichem Herzgewebe aus Herzmuskelzellen der Ratte

2000-2006: Erste Hinweise auf eine therapeutische Anwendung in der Ratte

2002: Erste Anwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen zur Herstellung von künstlichem Herzgewebe

2008-2013: Bestätigung des therapeutischen Prinzips im Mausmodell

2013: Etablierung eines Verfahrens für die Herstellung von klinische anwendbaren menschlichen Herzmuskelpräparaten

2014: Erste Beratungsgespräche mit der Bundesoberbehörde (Paul-Ehrlich-Institut) bezüglich des Weges in die klinische Anwendung

Seit 2014: umfangreiche Sicherheitspharmakologische Testungen

2021: Beginn der ersten klinischen Erprobung in Patienten mit Herzmuskelschwäche (BioVAT-HF; NCT04396899)

Drei Zutaten reichen schon aus

Herzmuskelzellen und Fibroblasten aus induzierten pluripotenten Stammzellen werden in Kollagen aufgenommen und in Gussformen in nahezu beliebiger Größe eingefüllt, um Herzpflaster mit einer gewünschten Form und Funktion herzustellen. Um die Reifung der Herzpflaster zu unterstützen werden diese mechanisch stimuliert, um dann nach wenigen Wochen für die Implantation einsatzbereit zu sein. Im Jahr 2006 konnte Zimmermann, damals frisch als Juniorprofessor für Tissue Engineering an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berufen, erstmals von dem erfolgreichen therapeutischen Einsatz des Herzpflasters in Ratten berichten. Dafür wurden Herzpflaster der Ratte auf das geschädigte Herz im Rattenmodell gelegt und anschließend vernäht.

„Das kann man sich ein wenig vorstellen, wie bei einem Luftballon, den man zusammendrückt und der sich an einer Schwachstelle ausstülpt.”

Prof. Dr. Ruediger Behr, Leiter der Forschungsplattform Degenerative Erkrankungen. Foto: Karin Tilch
Prof. Dr. Ruediger Behr, Leiter der Forschungsplattform Degenerative Erkrankungen. Foto: Karin Tilch

Tatsächlich entstand sowohl eine mechanische als auch eine elektrische Verbindung mit dem Empfängerherzen und das aufgenähte Herzpflaster wurde durch neue Blutgefäße versorgt. Dabei erfülle es zweierlei Aufgaben, erklärt Zimmermann: „Zum einen unterstützt das Pflaster das Herz dabei, wieder ausreichend Blut durch den Kreislauf zu pumpen, indem es das Herz beim Schlagen unterstützt. Zum anderen wird aber auch die Herzwand nach außen verstärkt, d.h. verdickt, und so die mechanische Belastung der Herzwand reduziert.“ Bei einer von einem Herzinfarkt geschwächten Herzwand kann es nämlich zu Aussackungen kommen, das Blut wird nicht mehr in den Kreislauf, sondern in einen „Blindsack“ ein sogenanntes Aneurysma gedrückt. „Das kann man sich ein wenig vorstellen, wie bei einem Luftballon, den man zusammendrückt und der sich an einer Schwachstelle ausstülpt,“ ergänzt der Forscher.

Tierversuche für die dringend notwendige Entwicklung neuer Therapeutika und Diagnostika

Eigentlich beschäftigt sich Behr am liebsten mit Weißbüschelaffen. Schnell hat er sich aber von Forschungspartnern überzeugen lassen, dass für Experimente mit Herzpflastern Rhesusaffen besser geeignet sind. Deren Herz ist größer und das Immunsystem dem von Menschen ähnlicher. In einer ersten Versuchsreihe wurde an gesunden Affen getestet, wie sie die OP und das Aufbringen des Herzpflasters vertragen. Dies wurde in Kooperation mit den Kliniken für Herzchirurgie an der Universitätsmedizin Göttingen unter Leitung von Prof. Ingo Kutschka und der Universität zu Lübeck unter der Leitung von Prof. Stephan Ensminger durchgeführt. Die Tiere wurden danach laufend beobachtet und mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren untersucht. Nach einem halben Jahr wurden sie eingeschläfert, um sowohl den Körper als auch die Herzen genauer untersuchen zu können. „Da wir mit Stammzellen im Transplantat arbeiten, mussten wir ausschließen, dass sich im Körper Tumore gebildet haben,“ so Behr. „Trotz sorgfältiger Suche durch zwei Pathologen konnten wir nichts Derartiges feststellen,“ ergänzt er. Für Patienten mit Herzmuskelschwäche ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist, dass es durch die Implantation von Herzpflastern zu keiner negativen Beeinträchtigung der Herzfunktion zum Beispiel durch Herzrhythmusstörungen kommt.

„Die Beobachtung, dass es nach Herzpflaster-Implantation zu keinen Herzrhythmusstörungen kommt, war wegweisend für die nun anstehende klinische Prüfung.”

Eine Nebenwirkung, die sich weder in der Zellkultur noch in alternativen Kleintiermodellen (z.B. Mäusen) untersuchen lässt. „Die Beobachtung, dass es nach Herzpflaster-Implantation zu keinen Herzrhythmusstörungen kommt, war wegweisend für die nun anstehende klinische Prüfung“, bestätigt Zimmermann. Damit war der Weg frei im nächsten Schritt die Herzpflaster auch bei Affen mit Herzmuskelschwäche zu testen. Im über das Deutsche Zentrum für Herzkreislaufforschung (DZHK) eingerichtete Herzkatheterlabor des Deutschen Primatenzentrums wurde dafür bei den Versuchstieren unter Vollnarkose ein Herzinfarkt erzeugt. Mit einem wenige Millimeter großen Ballonkatheter wird dabei ein Herzkranzgefäß verschlossen und nach drei Stunden wieder eröffnet. „Dadurch kommt es wie beim Menschen zu einem Absterben von Herzmuskelgewebe mit einer verminderten Pumpfunktion des Herzens “ erklären die Göttinger Wissenschaftler. Nach einer längeren Beobachtungsphase unter intensiver tierärztlicher Betreuung und Freigabe durch die zuständige Tierschutzbehörde in jedem Einzelfall wurde dann ein Herzpflaster implantiert, um den Herzmuskelzellverlust wieder auszugleichen.

Rhesusaffen (Macaca mulatta) im Außengehege des DPZ. Foto: Anton Säckl
Rhesusaffen (Macaca mulatta) im Außengehege des DPZ. Foto: Anton Säckl

Nachdem auch diese Versuche vielversprechende Hinweise auf eine Stabilisierung der Herzwand durch das Implantat lieferten, sollen nun die Herzpflaster auch erstmals an Menschen getestet werden. Dafür sollen zunächst Patienten mit einer schweren Herzmuskelschwäche identifiziert werden, die häufig außer einer Organtransplantation keine weiteren Therapiemöglichkeiten haben. Bei nur ungefähr 300 Patienten, die im Jahr in Deutschland mit einer Herztransplantation behandelt werden können, und vor dem Hintergrund der großen Patientenzahlen mit Herzmuskelschwäche geht Zimmermann zunächst von etwa 10.000 potentiellen Kandidaten für den Herzpflastereinsatz aus. Bei einem Erfolg in diesem Patientenkollektiv scheint eine Erweiterung der Indikationsstellung allerdings möglich.

Herzpflaster als Testmodell reduziert die Zahl von Tierversuchen

Wäre die Entwicklung des Herzpflasters ohne Tierversuche möglich gewesen? „Auf keinen Fall,“ stellt Zimmermann fest. „Das Entscheidende vor der klinischen Anwendung der Herzpflaster ist insbesondere die Gewissheit, dem Patienten nicht zu schaden. Die dafür nötigen und auch per Gesetz vorgeschriebenen Untersuchungen müssen mit der nötigen Sorgfalt in einem dem Menschen ähnlichen Modell getestet werden. Eine Simulation am Reißbrett oder Experimente in der Kulturschale sind hilfreich und von uns auch umfangreich durchgeführt worden, sind aber nicht ausreichend, um Vorhersagen zum Risikopotential im Menschen abschließend machen zu können“. Auf dem Boden der jetzt vorliegenden Daten, waren Zimmermann und seine Mitarbeiter jetzt in der Lage, einen klinischen Studienantrag bei der Bundesoberbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, zu stellen, um die weltweit erste Erprobung des Herzpflasteransatzes im Patienten durchzuführen. Aber auch bei Anwendungen im Labor hat das jetzt von Zimmermann und Kollegen entwickelte und kontinuierlich optimierte Verfahren der Herzgewebeherstellung einen zusätzlichen Nutzen: Es trägt dazu bei, die Zahl von Tierversuchen in anderen Bereichen zu verringern. „Herzpräparate in Anlehnung an unser Herzpflaster finden mittlerweile eine breite Anwendung als Ersatzverfahren für Tierexperimente in der Arzneimitteltestung.

“Wir sind immer offen mit unseren Ansätzen umgegangen und können hier deutlich zeigen, wie Tierversuche zu der Entwicklung neuartiger Arzneimittel beitragen können.”

Rhesusaffe im Außenbereich des DPZ. Foto: Margrit Hampe
Rhesusaffe im Außenbereich des DPZ. Foto: Margrit Hampe

Dabei ist es möglich, Wirkung und Nebenwirkung von Arzneimitteln auf das menschliche Herz bereits in der Kulturschale zu testen und so für die klinische Anwendung für den Patienten zu optimieren,“ berichtet der Forscher. Auch aktuell nutzt Zimmermann in der Zusammenarbeit mit Prof. Pöhlmann am Deutschen Primatenzentrum menschliche Herzmuskelpräparate, um die Auswirkung der COVID-19 Infektion auf das menschliche Herz sowie neue Behandlungsmöglichkeiten zum Beispiel zur Vorbeugung vor plötzlichem Herztod bei SARS-CoV-2 Infektion zu untersuchen. Dabei möchte er auch Kolleginnen und Kollegen zu offenerer Kommunikation ermutigen – und die Gesellschaft von wissenschaftlichen Themen begeistern. „Wir sind immer offen mit unseren Ansätzen umgegangen und können hier deutlich zeigen, wie Tierversuche zu der Entwicklung neuartiger Arzneimittel beitragen können. Dafür kann man die Menschen begeistern. Nicht für die Tierversuche, die macht niemand gern, aber für die dringend notwendige Entwicklung neuer Therapeutika und Diagnostika.“

Autor: Peter Kohl / Quelle: Tierversuche verstehen