Versuchstierzahlen weiter gesunken
Die Zahl der Versuchstiere in Deutschland in 2021 ist nach einem Rückgang im Vorjahr erneut leicht gesunken. Die Anzahl der zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzten Tiere sank um gut 1 Prozent auf 2.503.682 Tiere (2020: 2.533.664 Tiere). Die Initiative Tierversuche verstehen (www.tierversuche-verstehen.de) hat die heute veröffentlichten Versuchstierzahlen 2021 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) analysiert. Erstmals enthält die Statistik auch Angaben über Tiere, die gezüchtet und getötet, aber nicht für wissenschaftliche Zwecke verwendet wurden. Dies waren weitere 2.554.560 Tiere.
Lockdown-Maßnahmen und Home-Office-Vorschriften hatten im ersten Jahr der Corona-Pandemie 2020 den Betrieb in vielen Bereichen der biomedizinischen Forschung eingeschränkt. Obwohl sich die Lage in den Forschungseinrichtungen 2021 annähernd normalisierte, sank die Zahl der Versuchstiere nun abermals. Die erneute Abnahme der Versuchstierzahlen folgt allerdings nicht dem Trend anderer europäischer Länder, in denen nach einem ähnlich starken Rückgang im Jahr 2020 aktuell wieder leicht steigende Zahlen zu beobachten sind.
Die veröffentlichte Zahl der Versuchstiere setzt sich zusammen aus 1.859.475 Tieren (2020: 1.899.880), die in Tierversuchen verwendet wurden, sowie 644.207 Tieren (2020: 633.784), die ohne Versuchseingriffe für wissenschaftliche Zwecke getötet wurden, zum Beispiel zur Entnahme von Organen, Gewebeteilen und Zellen zur Herstellung von Zellkulturen und anderen tierversuchsfreien Forschungsmethoden.
Erstmals 2.554.560 nicht verwendbare Tiere erfasst
Erstmals enthält die Statistik zusätzlich 2.554.560 Tiere, die für Tierversuche gezüchtet, aber dort nicht verwendet werden konnten und daher eingeschläfert wurden. Bei Züchtungen für Tierversuche entstehen unvermeidbar Tiere, die nicht für die betreffenden Tierversuche geeignet sind. Zum Beispiel prägen bei Züchtungen nicht alle Tiere die gewünschten genetischen Merkmale aus („Mendelsche Regeln“).
Solche biologischen Gesetzmäßigkeiten lassen sich nicht außer Kraft setzen und auch bei sorgfältiger Planung werden daher unausweichlich Tiere geboren, die durch die Zucht nicht alle gewünschten Eigenschaften tragen. Wissenschaftler*innen müssen folglich mehr Tiere züchten, als sie letztlich für die Tierversuchsstudien brauchen. Andere, nicht kontrollierbare Faktoren wie zum Beispiel die Wurfgröße, spielen ebenfalls eine Rolle.
3R-Prinzip wirkt sich auf Versuchstierzahlen und Belastungen aus
Den sinkenden Versuchstierzahlen in den vergangenen Jahren steht ein erheblicher Anstieg der Forschungsförderung seit zehn Jahren gegenüber. Sie hat sich im Bereich der Gesundheitsforschung zwischen 1,81 Milliarden Euro im Jahr 2012 auf 3,74 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. „Die Zahl neuer Forschungsprojekte steigt seit Jahren, aber ein immer geringerer Teil davon mit Versuchstieren. Hinzu kommt eine reduzierte Versuchstierzahl dank verbesserter Versuchsplanungen und verbesserten Methoden“, erläutert Stefan Treue, Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen und Direktor des Deutschen Primatenzentrums. „Gäbe es den starken Aufwuchs bei den Forschungsmitteln nicht, würden wir wohl einen noch stärkeren Rückgang der Versuchstierzahlen sehen. Ohne Anwendung des 3R-Prinzips hingegen wäre bei steigender Forschungsförderung ein Anstieg der Versuchstierzahlen zu erwarten.“
Seit 2014 wird auch die Belastung von Versuchstieren ermittelt. Hierbei zeigt sich, dass der Anteil jener Tiere, die geringen Belastungen ausgesetzt waren, weiter den größten Teil ausmacht. 2021 waren 63 Prozent der Versuche mit nur geringen Belastungen verbunden (2020: 67 Prozent). 26 Prozent der Versuche gingen mit mittleren Belastungen (2020: 24 Prozent) einher, 4,3 Prozent der Tierversuche mit schweren Belastungen (2020: 4 Prozent). Rund 6,4 Prozent der Tiere wurden unter Vollnarkose getötet (2020: 5,6 Prozent), zum Beispiel zur Organ- und Gewebeentnahme, auch für Zellkulturen, also die Entwicklung und Nutzung von sogenannten Alternativmethoden.
Wie schon in den Vorjahren, so zeigen auch die Versuchstierzahlen 2021 in Deutschland deutlich, dass genetisch veränderte Tiere, meist Mäuse und Zebrafische, weiter an Bedeutung gewinnen. Ihr Anteil macht erstmals den überwiegenden Teil der Versuchstiere aus (52 Prozent).
Ein Abwärtstrend setzt sich 2021 dagegen bei Versuchen zu regulatorischen Zwecken fort: Für gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitstests – etwa von Medikamenten oder Chemikalien – wurden 13 Prozent der Tiere (313.577) eingesetzt. 2020 lag die Zahl noch bei 14 Prozent (2020: 361.378).
Mehr als 90 Prozent der Versuchstiere sind Mäuse, Ratten und Fische
Mäuse, Ratten und Fische sind mit einem Anteil von 93 Prozent weiterhin die mit Abstand am häufigsten eingesetzten Versuchstiere. Bei den Mäusen ist ein Anstieg um fast 2 Prozent auf 1.877.409 Tiere (2020: 1.846.274) zu verzeichnen. Die Zahl der eingesetzten Hamster ist auf 3017 gestiegen (2020: 2104). Hamster gelten als besonders geeignetes Tiermodell für die Erforschung von COVID-19, da diese Tiere natürlicherweise empfänglich für SARS-CoV-2 sind und ähnliche Symptome zeigen wie Menschen.
Von jährlich variierenden Zahlen geprägt sind Versuche zum Arten- und Umweltschutz. Diese Versuche brauchen oftmals große Tierzahlen, aber bedeuten für die Tiere nur eine sehr geringe Belastung. Dazu gehören beispielsweise Fische, bei der Entwicklung von tiergerechten Fischtreppen an Staustufen. Konkret sank die Zahl in diesem Bereich um 5,8 Prozent auf 36.783 Tiere (2020: 39.066 Tiere).
„Hoffnung macht die in Deutschland kontinuierlich sinkende Zahl von Versuchstieren für regulatorische Tests, zum Beispiel für Medikamente und Chemikalien“, resümiert Stefan Treue, Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen und Direktor des Deutschen Primatenzentrums. „Dies spiegelt unter anderem die erfolgreiche Entwicklung einer Vielzahl alternativer Testmethoden wider und unterstreicht die Bemühungen der Wissenschaft, die Zahl der Versuchstiere kontinuierlich zu senken.“