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"Kein betretenes Schweigen mehr über Tierversuche"

Florian Dehmelt (30) ist Neurowissenschaftler aus Tübingen und eines der Gesichter der neu gegründeten Initiative „Pro-Test Deutschland“, mit der junge Menschen, die meist selbst tierexperimentell arbeiten, die Öffentlichkeit über Tierversuche informieren wollen. Im Interview erklärt Dehmelt, warum die Wissenschaftler die Gruppe gegründet haben.
Florian Dehmelt diskutiert in Tübingen auf der Neckarbrücke mit Mirbürgern über Tierversuche. Foto: Akshay Markanday
Das Foto zeigt Florian Dehmelt
Florian Dehmelt ist eines der Gesichter von "Pro-Test Deutschland". Foto: privat

DPZ: In Großbritannien und Italien gab oder gibt es die Wissenschaftler-Initiative "Pro-Test" schon seit einigen Jahren, was hat Sie und ihre Mitstreiter zur Gründung gebracht?

Florian Dehmelt: Von beiden Initiativen haben wir uns inspirieren lassen, weil sie das Thema Tierversuche offen ansprechen, ohne sich um Hierarchien und Dienstwege zu scheren. Daher haben wir auch unseren Namen in Anlehnung an sie gewählt. Dass wir über unseren eigenen Schatten gesprungen und selbst aktiv geworden sind, hat aber mit der Situation in Deutschland zu tun - damit, dass die Forschung an und mit Tieren hier sehr einseitig debattiert wurde, und damit, dass sich einzelne Wissenschaftler schließlich nicht nur persönlichen Angriffen ausgesetzt sahen, sondern auch dem betretenen Schweigen der meisten Kollegen.

DPZ: "Pro-Test Deutschland" gibt es jetzt seit einigen Wochen - wie sind ihre bisherigen Erfahrungen, was haben Sie erlebt?

Florian Dehmelt: Als wir Anfang Juni zum ersten Mal an die Öffentlichkeit traten, wussten wir noch nicht, was uns erwartet. Interesse? Ablehnung? Unverständnis? Viele hatten sogar Angst davor, persönlich bedroht zu werden. Seitdem haben wir die Internetseite www.pro-test-deutschland.de mit Informationen zum Thema aufgebaut. Und wir sind mit Menschen ins Gespräch gekommen - in den sozialen Medien und, ganz wichtig, eben auch auf der Straße! Bei Aktionen hier in Tübingen wurden wir zwar manchmal von Leuten angesprochen, die unsere Arbeit ablehnen; gerade unter ihnen waren viele aber umso neugieriger und wollten gern mehr von uns erfahren. Und was uns völlig überrascht hat: Immer wieder sind Menschen auf uns zugekommen und haben sich dafür bedankt, dass endlich jemand offen für Tierversuche eintritt - eine tolle Erfahrung.

DPZ: Was sind ihre Ziele, was wollen sie mit "Pro-Test Deutschland" mittelfristig erreichen und wie geht das ihrer Meinung nach am sinnvollsten?

Florian Dehmelt: Wir wollen erreichen, dass die gesellschaftlich wichtige Debatte um Tierversuche offen und angstfrei geführt wird. Wir wollen jedem Einzelnen die Möglichkeit geben, sich über das Wie und Warum dieser Forschung zu informieren, Fragen zu stellen - und dann eine eigene Gewissensentscheidung zu treffen. Ganz egal, wie sie letztlich ausfällt. Öffentlich finanzierte Forschung strebt zwar immer danach, dem Wohle der Gesellschaft zu dienen; auf dem Weg dorthin ist sie den Menschen aber auch Rechenschaft schuldig. Wen Berichte über unsere Arbeit verunsichern, für den müssen wir ansprechbar sein.

DPZ: Welche Informationen fehlen eigentlich dem durchschnittlichen Bundesbürger über Tierversuche? Was sind die größten Missverständnisse?

Florian Dehmelt: Die meisten Fragen könnte man ganz einfach beantworten: Leiden die Tiere denn? Macht Euch das nichts aus? Wie tötet Ihr sie eigentlich? Und warum kommen sie nicht alle auf einen Gnadenhof? Sind Mäuse, Affen und Menschen nicht viel zu unterschiedlich, um Ergebnisse vergleichen zu können? Das sind oft Punkte, auf die man in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung nicht mehr eingehen würde. Sie sind aber für unsere eigene moralische Entscheidung zugunsten von Tierversuchen genau so wichtig gewesen, wie sie es für all jene sind, die ihre Entscheidung gerade erst treffen. Die größten Missverständnisse gibt es bei der Frage nach Sinn und Zweck der Grundlagenforschung. Befriedigt man da nicht bloß narzisstisch seine Neugier? Wie kann es sein, dass man vorher nicht planen kann, wofür jahrzehntelange Forschung gut sein wird?

DPZ: Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass in der Öffentlichkeit so wenig sachliche Informationen über Tierversuche und den Umgang der Wissenschaftler mit den Tieren bekannt sind?

Florian Dehmelt: Geheim sind diese Informationen ja nicht. Aber man muss unheimlich viel Zeit aufwenden, um all die verstreuten Fakten zu einem schlüssigen Bild zusammenzusetzen. Den meisten Menschen ist das Thema auch schlichtweg unangenehm, ähnlich wie der Fleischesser nicht gerne an den Schlachthof denkt - wer dann plötzlich gruselige Bilder gezeigt bekommt, verliert erst recht die Lust, die technischen Einzelheiten nachzulesen. Viele Gegner der Forschung an Tieren nehmen sich der Sorgen der Menschen hingegen sehr bewusst an und bieten ihnen direkte Antworten auf ihre persönlichen Fragen. Da sich Wissenschaftler fast völlig von dieser Debatte ferngehalten haben, sind so auch immer wieder dieselben Halb- und Unwahrheiten verbreitet worden. Sich in solchen Fällen bloß auf die eigene Pressestelle zu berufen, weckt eben auch kein Vertrauen - das müssen und das können wir ändern.

DPZ: Suchen Sie weitere Mitstreiter? Wie kann man sich ihnen als Wissenschaftler anschließen?

Florian Dehmelt: Wir sind ja alle ehrenamtlich tätig. Da haben manche neben ihrer eigentlichen Arbeit noch viel Zeit und Kraft, sich einzubringen, während andere nur hier und da ein wenig aushelfen. Texte schreiben, Infomaterial verteilen, Auftritte organisieren, die Anfragen interessierter Menschen beantworten... es gibt immer etwas zu tun. Wir freuen uns daher über jeden, der etwas zu unserer Initiative beitragen möchte - ganz egal, ob Wissenschaftler oder nicht! Wer selbst mitmachen will oder unseren Verein in anderer Weise fördern möchte, der kann uns einfach eine E-Mail schicken: info(at)pro-test-deutschland.de